Gewäsch und Gewimmel - Roman
Mai, und mache
5. Mai, kalt, windig, trocken, Nachtfrostgefahr. Schlechte Zeiten für Waldgaststätten, Sommerkleider, Gärtnereien. Der Komponist Hannes Keller arbeitet an vier kurzen Klavierstücken, kleine Balladen sollen es werden. Am liebsten würde er sich aber an eine Oper trauen, selbst wenn ihm das niemand finanziert. Die schöne, große, weltbehauptende Geste der alten Giganten (und ihrer Epigonen)!
Er selbst kann nur zaghafte Stege ins Unbekannte, eng begrenzte Scheinwerferkegel ins Dunkle fabrizieren. Keller sieht nirgendwo die Skizze eines Kontinents, den er glaubhaft errichten könnte. Immer hackt ein Vogel mit spitzem Schnabel nachihm und schreit, sobald er es einmal versucht: »Du lügst!« Ihm bleibt allein, in hochmütiger Bescheidung, zu zitieren. Ein schlechter Trost, erst recht im derart verkehrten Mai.
Was Jan verschweigt
Natürlich besitzt auch Jan, der männliche Teil des Liebes- und Ehepaars Sykowa, ein Geheimnis, das er nicht mit seiner Frau teilt, und da das Faktum von Monat zu Monat anschwillt, wird auch das Geheimnis immer dicker. Durch Anstrengung kann er einen hellen Horizontkreis um sich verbreiten, der ihn lächeln läßt. Er kann sich in ihm voranbewegen, ganz frei. Immer aber spürt er die Schwärze, die an der Grenze spioniert und seelenruhig darauf wartet, daß der Kreis durch eine Unaufmerksamkeit zusammenbricht. Dann wird es einströmen, das Lichtlose.
Hier aber doch!
Ein junger Mann aus Oldenburg, der sich bei ihm am Zeitungsstand rumdrückte, hat Alex erzählt, daß er jetzt arbeitslos ist, aber eine Weile, viel zu lange, in einem Ketten-Blumengeschäft als Aushilfskraft Vollzeit gearbeitet hat. Das klappte nur, weil seine Eltern alles für ihn bezahlt haben. Er mußte die Drecksarbeit und die schwersten Sachen machen, für die Frauen zu schwach sind. Boxen säubern, Kübel schleppen und so, drei Jahre lang, immer in der Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz. Und was hat er verdient? 1,13 Euro, jawohl, 192 Euro im Monat! Schließlich hat er den Job geschmissen und ist zur Arbeitsagentur gegangen. Dort riet man ihn, den Chef zu verklagen. »Das Arbeitsgericht gab mir recht. Jetzt kriege ich 20 000 Euro nachgezahlt. Nur: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.«
Alex, noch immer baff wegen des frechen Glücks seiner verliebten Schwester und frischen Gastwirtin, will sich über nichts mehr wundern. Im vorliegenden Fall einer tatsächlichen Auszahlung der Entschädigungssumme täte er es aber doch.
Der dunkle Fahrgast
Dem frommen Mann Dillburg sitzt in der S-Bahn ein dunkelhäutiger Mensch mit schönen Gesichtszügen gegenüber. Aus welchem Land mag der Zeitgenosse zu uns hergereist sein? Indien? Pakistan? Vom tiefbraun glänzenden Teint hebt sich eindrucksvoll aufschäumend das bereits weiße Haar ab.
Der Fremde strahlt etwas aus.
Vielleicht wäre es nicht unbedingt als Güte, aber um so sicherer als bestechende Version einer fast ausgestorbenen Noblesse zu bezeichnen? Als er aufsteht, sieht Dillburg, daß die Ärmel des schwarzen Mantels deutlich zu kurz sind. Die Manschetten des blendend weißen Oberhemdes ragen weit darunter hervor. Und doch wirkt dieser in sich gekehrte Mann mondän. Der kleine Makel könnte Absicht sein und er selbst die konkrete Erscheinung dessen abgeben, was der Prediger, Dillburgs Lieblingsautor in der Bibel, rät.
Ja, endlich hat Dillburg jemanden gefunden, der den Vorschlag in geziemend edler Weise, wie es scheint, befolgt: »So geh hin, und iß dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dies Tun hat Gott schon längst gefallen. Laß deine Kleider immer weiß sein, und laß deinem Haupte Salbe nicht mangeln.«
Dann spürt er, schon im Treppenhaus, ein Absterben der Lippen, einen Schweißausbruch, seine Hände beginnen zu zittern. Dillburg kennt die Anzeichen aus dem Effeff. »Einundfünfzig«, schätzt er und lacht, als ihn die Messung des Blutzuckerwertes exakt bestätigt.
Rätsel aus längst vergangener Zeit
Das ist nun wirklich ein Spaziergang: Unter der CDU/FDP-Koalition ist gegen den Widerstand der Opposition beschlossen worden, die eine Energie gegen den Beschluß der früheren Regierung wieder massiv zu fördern und die andere durch Kürzungen massiv zu benachteiligen. Wovon ist hier die Rede?
Hilfe: Nichts könnte logischer sein (bei ein bißchen, wirklich nur ein bißchen Nachdenken). Siehe im Umfeld auch unter »Finanzierung von Gutachten«.
Dilemma
Eva Wilkens stellt an sich fest (immer wieder neu, sie kennt
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