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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Leute für alle möglichen Untersuchungen und Fragenkataloge auszuprobieren. Es war wie bei seinem letzten Kirchenbesuch vor vielen Jahren, als er plötzlich den Verdacht hatte, der Priester vorne machte alles nur zum Schein, weil er an nichts mehr von dem, was er tun und sagen mußte, glaubte, würde sogar heimlich lachen über die dumme Gemeinde, sich das Lachen verkneifen über die Einfalt in den Bänken, die seine liturgischen Späße bitterernst nahm und dafür, es ließ sich nicht leugnen, schließlich Steuern bezahlte.
    War es nun auch mit dem zutraulich frommen Wandern in den Bergen aus, und blieb nichts übrig für den fröhlichen Wind?
Der andere Pratz
    Das breite (und das durchaus im Sinne von: besoffene, träge, dumme) Publikum, schrieb Pratz in sein Tagebuch und dann doch auch gleich an seinen Verleger, wolle unbedingt, und deshalb solle es sie kriegen, sogenannte richtige Geschichten, verlange sie um jeden Preis, vor allem um den der Erkenntnis. Er, Pratz, schreibe sie außerdem, um einer allzeit auf dem Sprung liegenden Verrücktheit zu entgehen. Denn er werde in Wirklichkeit überschwemmt, umschwärmt, zersplittert von tausend Figuren und Geistern, die es zu bändigen gelte in der alten, verlogenen Form.
    Kurios aber: Viel eher fresse der gemeine Leser die Absurdität, daß sich jemand hundert Seiten lang mit jedem Schatten und Lächeln und Gedankenanflug an Ereignisse seiner Jugend erinnert(und halte das für natürlicher) als den Gewittersturm sporadischer Epiphanien.
    Was denn daran »kurios« sei, schrieb der Verleger prompt zurück. Pratz antwortete nicht, notierte aber in sein Tagebuch: Habe ich nicht etwa versucht, die Sentenzen des ausformulierten Tiefsinns in meinen Romanen zu eliminieren, denn die Kunst besteht ja darin, den Sinn durch die Oberfläche scheinen zu lassen, ohne diese im geringsten zu verletzen? Doch nein, das Publikum will alles feuilletonistisch ausgesprochen haben. Sie wollen es – wenn schon nicht das Reißerische, sondern ausdrücklich »Kultur« an der Reihe ist – philosophisch, soziologisch, psychoanalytisch parfümiert.
    Also gehorche ich den Eseln und ihrer Kaufkraft.
Elsas Rätsel
    Quatsch, nicht Elsas Rätsel! Elsas Rat: »Ich bin zwar nicht zuständig für solche Probleme, aber wenn es Sie wieder überfällt«, sagt sie zu jemandem, dessen Schulterbereich elend verspannt, manchmal beinahe gelähmt ist, »daß Sie, besonders im Zustand der Müdigkeit, in Menschenmengen diesen, sagen wir nicht: Ekel, sagen wir lieber: Überdruß bekommen, nein, Sie sollten es gar nicht erst als Menschenhaß bezeichnen, dann sehen Sie einfach eins der Gesichter genau an, nur ein einziges, aber das genau! Sagen Sie unter irgendeinem Vorwand einen Satz! Richten Sie eine Frage an die Person, zum Beispiel die nach einer Straße, kann eine erfundene sein oder ihre eigene. Ist egal und völlig unverfänglich: ›Bitte, wo ist die Goethestraße? Gibt es in dieser Stadt vielleicht mehrere davon? Ich finde mich nicht zurecht!‹ Usw. Das Gesicht wird sich bewegen, sich zuerst zusammenziehen, dann glätten. Es wird vermutlich lächeln oder die Stirn in Falten legen, auf jeden Fall den Mund öffnen, eventuell auch geniert die Lippen krümmen, weil es keine verläßliche Auskunft geben kann. Macht ja nichts. Ihnen aber, Sie werden sehen,Ihnen ist fürs erste geholfen. Wenn das nicht reicht, versuchen Sie es ein paar Schritte weiter noch einmal. Und natürlich das Bedanken nicht vergessen! Auch wenn es schwerfällt. Freundlich, nicht nur höflich bedanken! Dankbares Lächeln bitte, auch wenn Sie mit den Zähnen knirschen!«
    Dabei umkreist sie die liegende Gestalt und kontrolliert in ihrem kalkweißen Kittel, ob die Schmerzgrenze erreicht ist bei der Dehnübung, senkt die Ellenbogen des Patienten mit zartem Druck ganz unbarmherzig auf die Matratze, bis er eine Grimasse schneidet und schreit. Dann faltete sie ihn mildtätig zusammen, lobt ihn mit kühler Stimme für seine Tapferkeit. Ihr Kittel berührt seine Füße, die sie ein wenig massiert und für einen neuen, noch brutaleren Angang arrangiert.
    »Für heute das letzte Mal«, ruft sie fröhlich zum Schluß. »Zuhause üben, üben, üben, jeden Tag zwanzig Minuten, sonst müssen wir die Sehnen operativ strecken lassen. Postoperativ eine harte Sache! Sie haben keine Wahl.«
    Sie lacht ihn an, sie scheint vergessen zu haben, daß sie dem noch stöhnenden Graf Otto eben ein ganz anderes Medikament vorgeschlagen hat. Gescheite Elsa!
Komm, lieber

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