Gewäsch und Gewimmel - Roman
Gespräch kommen, wie stark sie eine Verwandtschaft empfinden, als würden sie einander Jahrzehnte kennen! Herr Brück wird der Ortsunkundigen die Wege zeigen, die er mit Rex täglich gegangen ist.
Auch wenn es nicht sein sollte!
»Man sollte wohl kein Mitleid mit ihnen haben«, sagt Elsa in der Nacht zu ihrem Freund. Er fragt nicht nach, weil er zu müde ist.
»Nein, jedes Mitgefühl ist falsch am Platze«, sagt sie wieder. Der Mann rührt sich nicht.
»Auch wenn es nicht sein sollte«, sagt sie nach einiger Zeit, »aber wenn ich die Fotos der Burschen sehe, die man nach Anschlägen gefaßt hat und abführt, frage ich mich sofort, was man, wenn die Öffentlichkeit nicht zusieht, hinter fensterlosen Mauern Unbeweisbares mit ihnen anstellen wird. Es ist ein unheilverkündender, ich meine, herzzerreißender Anblick und so, als geschähe trotz allem ein großes Unrecht an diesen von allen verlassenen Gestalten.«
Eigentlich ist Elsa froh, daß Henri einfach weiterschläft. Man weiß ja keinen Rat. Ob unzivilisierte Empathie eine Krankheit ist, und zwar vor allem ihre?
Sollte es sein?
In der folgenden Nacht liegt Elsa wieder eine Weile wach. Als hätte sie mit ihren Kunden nicht schon genug! Jetzt wird sie nämlich von drei anderen Dingen heimgesucht. Sie gehen nicht weg, und sie weiß nicht, was sie dazu fühlen soll:
Heute, am späten Nachmittag, schoben zwei junge Frauen ein Kleinkind in seinem Wägelchen. Plötzlich blieben sie stehen und küßten einander lange und brutal auf den Mund. Einsam starrte das vergessene Kind.
Im Taxi grinste der Fahrer an der Ampel sein Handy an und fragte sie: »Wollen Sie sehen? Pornos aus Brasilien, gerade bei mir angekommen. Ich selbst hatte noch nie eine Rothaarige.«
Schon seit dem Frühstück geht ihr ein Satzanfang im Kopf herum: »Im Labor gehaltene Zugvögel …«
Wenn sie, Elsa, nur wüßte, ob es zwischen diesen Sachen einen Zusammenhang gibt! Dann könnte sie das bündeln und viel leichter wieder einschlafen.
Tuttelig
Bevor Frau Fendels bleicher Sohn wieder nach München gefahren ist, hat er ihr erklärt, warum seine Schwägerin, Frau Fendels Schwiegertochter, nach dem Tod seines Zwillingsbruders nichts von sich hören läßt: »Sie macht Politik gegen uns. Die gesamte Familienvergangenheit liegt unwidersprochen in ihrer Deutungshoheit, jetzt noch stärker als früher. Das Handwerk der Frauen!«
Und was hat er seiner Mutter zum Abschied geschenkt? Einen moderneren Wecker! Wenn sie aus ihrem oft schönen Morgenschlaf gerüttelt wird, dann nicht mehr durch ein simples Geklingel. Es sind die neuesten Katastrophen aus aller Welt, die sie sogleich in geziemender Strenge zu hören kriegt. »Hör ruhig hin, Mutter! Bloß nicht tuttelig werden!«
Dabei hat Frau Fendel in ihrem weit fortgeschrittenen Alter mit Hilfe eines Hausbewohners noch den einfachen Umgang mit dem Computer erlernt. Nur kommt es ihr gelegentlich vor, als schriebe die Maschine ihre Gedanken auf, bevor sie selbst sie bemerkt hat. Husch! Heute steht sie am Fenster und sagt zu der Scheibe: »Ach, wenn man doch bald bei der technischen Entwicklung einen Punkt machen würde! Wenn man doch gar nicht mehr weiterforschte!«
Außerdem hat sie errechnet, daß sie acht alleinlebende Frauen kennt, von jeher allein oder inzwischen allein oder verwitwet. Zufriedener wäre sie, wenn sie auf zehn käme. Einfach, weil es so eine runde Zahl ist. Dabei, fällt ihr ein, ist es ganz einfach. Sie muß sich selbst bloß dazunehmen und statt »Frau« »Person« sagen oder »Mensch«. Dann paßt ihr Sohn mit in die Gruppe. Haha! Zehn! Jetzt zuckt sie aber zusammen: »Werde ich etwa wunderlich?« Denn es gibt noch etwas anderes. Wenn auf ihrem Kalenderirgendein Termin erscheint, lebt sie strikt und streng, fast kopflos vor Inbrunst, richtig berauscht darauf zu, wird ein Wasser, das mit immer stärkerer Strömung auf die Felsenschwelle zufließt. Dabei richtet sich doch diese Ungeduld gegen sie selbst und schneidet ihr Minute um Minute vom Leben unwiederbringlich ab.
»Trotzdem! Besser als nichts!«
Beschenkte
Die Fotografin Roeland (Aprilvollmond!) ist stolz auf ihre Idee für eine Porträtserie. Sie beschenkt ihre Bekannten mit kleinen Präsenten und fotografiert sie im Moment der »spontanen« Entgegennahme. Toll! Sie hat nämlich beobachtet, daß es zwei Gruppen gibt: Die einen spielen aus Verlegenheit Riesenbegeisterung (Ute, Sven, Michaela), die zweiten tun aus Schamhaftigkeit so, als würde die Gabe sie beleidigen
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