Gewagtes Spiel der Leidenschaft
die Hände. „Sie müssen Jonathons Schwester Mary sein. Wie schön, Sie nach den vielen E-Mails endlich persönlich kennenzulernen.“
„Marie“, korrigierte die Frau sie und ließ ihren Blick über die Tische des Cutie Pies schweifen.
„Ich hatte schon befürchtet, von Jonathons Familie würde sich niemand blicken lassen.“ Mit viel Theater eilte Helen Marie entgegen, zögerte dann aber, als versuche sie eine Lösung zu finden, wie sie die Frau mit einer Umarmung willkommen heißen konnte, ohne sie dabei tatsächlich berühren zu müssen.
Sie entschied sich für einen Luftkuss in ungefährer Nähe von Maries Wange. „Willkommen in der Familie.“
Marie zog eine Braue hoch und verlieh damit ihrer Verachtung besser Ausdruck, als es tausend Worte gekonnt hätten.
Wendy fand die Frau auf Anhieb sympathisch.
Dummerweise war Jonathon nicht dieser Meinung.
Marie hatte reiche Leute noch nie ausstehen können, und angesichts der momentanen Situation konnte Jonathon ihr das nicht mal verübeln, hielt sich Helen doch eindeutig für etwas Besseres als sie – und vermutlich bezog sie das nicht nur auf Marie, sondern auf jeden in dieser Stadt.
Dass Marie hergekommen war, verwunderte ihn nicht, weil Familie für sie immer an erster Stelle gestanden hatte, sogar Familienmitglieder, die sich vor langer Zeit aus dem Staub gemacht hatten.
„Und, Marie?“, fragte Helen mit strahlender Miene, da sie offenbar fest entschlossen war, die missbilligenden Blicke seiner Schwester zu ignorieren. „Erzählen Sie doch mal, was Sie so machen.“
„Ich kümmere mich zu Hause um meine Kinder“, kam die knappe Antwort.
„Oh“, brachte Helen daraufhin nur heraus.
„Meinen Sie etwa, das ist keine Arbeit?“
„Nein, ich …“ Helen suchte verlegen nach einer passenden Antwort, was Jonathon mit Vergnügen beobachtete. Sie hatte es sich schließlich selbst eingebrockt. „Ich kümmere mich auch zu Hause um meine Kinder. Ich weiß, wie viel Arbeit das bedeutet.“
Jonathon stutzte. Hatte Wendy nicht gesagt, dass Helen ihre Kinder aufs Internat geschickt hatte?
Bevor Helen sich noch um Kopf und Kragen reden konnte, warf Wendy ein: „Marie, werden morgen mehr von Ihrer Familie zum Empfang kommen? Wir würden gern seine Eltern kennenlernen.“
Marie warf ihr einen verwunderten Blick zu. „Unser Dad starb, als Jonathon noch auf der Highschool war.“
„Oh, das tut mir leid“, sagte Wendy betreten.
Er hätte es ihr natürlich sagen sollen, aber das war kein Thema, auf das man im Verlauf einer Unterhaltung ganz von selbst zu sprechen kam, und er hatte ohnehin nie mit irgendjemandem darüber reden wollen.“
„Krebs“, fuhr Marie fort. „Wahrscheinlich von den Pestiziden.“
„Oh“, meldete sich Helen zu Wort, um das verlegene Schweigen zu überbrücken. „Macht Ihre Familie in Agrikultur?“
„Unser Dad hat auf einer Apfelplantage gearbeitet. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber ich würde eher nicht sagen, dass er in Agrikultur gemacht hat.“
„Verstehe“, gab Helen zurück und klang beinahe mitfühlend, wenn da nicht dieses zufriedene Funkeln in ihren Augen gewesen wäre. „Und Ihre Mutter?“
„Sie lebt heute in Tucson, bei ihrer Schwester.“
„So? Und gibt es noch andere Geschwister?“, erkundigte sich Helen.
Wendy saß neben ihm und starrte vor sich auf den Tisch. Er konnte praktisch jeden ihrer Gedanken lesen. Alles, was er ihr nicht über seine Familie hatte sagen wollen, wurde ihr jetzt auf diese Weise präsentiert, und er konnte nichts dagegen tun … Doch, das konnte er. „Das reicht jetzt, Marie“, unterbrach er seine Schwester. „Hör auf, dich so trotzig zu benehmen. Wenn du sauer bist, dass ich euch nie besucht habe, meinetwegen. Darüber können wir später immer noch reden.“ Dann wandte er sich an Helen. „Und von Ihnen habe ich jetzt auch genug.“
Helen sah ihn an, als hätte er sie geohrfeigt. Vermutlich war sie noch nie von jemandem zurechtgewiesen worden. „Ich muss doch …“
„Wenn Sie was über meine Familie erfahren wollen, dann fragen Sie mich. Aber ich muss Sie warnen, weil wahrscheinlich keiner von uns Ihre Erwartungen erfüllen kann. Mein Vater hat auf einer Plantage gearbeitet, meine Mutter hat im Supermarkt an der Kasse gesessen. Ein paar Kinder in unserer Familie sind unehelich, der eine oder andere Angehörige hat wegen kleinerer Straftaten schon mal im Gefängnis gesessen. Andererseits haben alle meine Nichten und Neffen, die alt genug dafür sind,
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