Gewalt ist eine Loesung
nicht. »Guck dir mein Auge an! Schau dir verdammt noch mal mein Auge an! Was ist damit? Ist mein Auge noch heil? «
Er schaute mich an, nahm den Ärmel seines Pullovers und wischte mir damit das Blut aus dem Gesicht. Er versuchte festzustellen, woher die Blutung kam. »Nein, alles gut. Du hast eine Platzwunde unter der Augenbraue, aber dein Auge sieht okay aus.« »Wie groß ist die Platzwunde?« »Fünf, sechs Zentimeter bestimmt. Die Wunde ist richtig offen und muss bestimmt genäht werden.« Ein gutes neues Jahr!
Frank kam endlich auch nach. Seine rechte Gesichtshälfte war stark angeschwollen, auf der Stirn hatte er eine Platzwunde. Der Koch stieß an der nächsten Ecke zu uns und Fred hatte sich inzwischen ausgekotzt. Fred trank eigentlich nie Alkohol. An diesem Abend aber hatte er mit uns gesoffen und war so stramm, dass er die Schlägerei kotzend im Gebüsch kniend verpasst hatte. Wir waren wieder alle zusammen und einigermaßen auf den Beinen.
Unsere Wut war auf dem Siedepunkt. Was war geschehen? Wir wollten ein Bier trinken, mehr nicht, und wurden grundlos von 15 Leuten angegriffen, die ihre Übermacht schamlos ausnutzten. Selbst als wir am Boden lagen, traten sie weiter zu. Dass wir ohne Einladung und – wenn man es genau nimmt – trotz eines ausdrücklichen Verbots diese Party besucht und das Geschehene provoziert hatten, spielte für uns keine Rolle. In unseren Augen waren die Engländer die Aggressoren. Und die hatten gegen alle Regeln verstoßen.
Wir kochten vor Hass und Rachegefühlen. Frank und ich schauten uns an. Er nahm meinen Kopf, um sich die Platzwunden genauer anzusehen. »Das muss auf jeden Fall genäht werden.« Frank ergriff wieder das Wort: »Das lassen wir nicht auf uns sitzen. Los, wir fahren ins › Cobra ‹ und holen den Rest der Mannschaft.«
Wir steuerten die 300 Meter entfernte Straßenbahn-Endstation Sieker an. Schweigend saßen wir da und warteten. Wir sammelten Energie und Kraft für unser Vorhaben und waren fest entschlossen, mit den Jungs aus dem »Cobra« zusammen die Engländer plattzumachen. Und dann plötzlich sah ich ein Blaulicht. Es warf seinen blauen Schatten auf die umliegenden Gebäude. Der Streifenwagen bog in Richtung Haltestelle ein und steuerte direkt auf uns zu. Zwei Beamte stiegen aus, beide etwa um die 40 Jahre alt. Sie machten einen energischen Eindruck. Es war nicht schwer zu erraten, was sie wollten. Sie kämen gerade vom Partyzelt, sagten sie und suchten die Beteiligten dieser Schlägerei.
Unsere aggressive Haltung muss ihnen förmlich entgegengesprungen sein. Und unser Anblick sagte auch alles. Meine gesamte rechte Gesichtshälfte, meine Jacke und mein rechtes Hosenbein waren voller Blut. Auch Frank hatte Blutspuren auf der Stirn und schlimme Schwellungen im Gesicht. Die Polizisten zeigten auf mich: »Sind Sie gerade in eine Schlägerei verwickelt gewesen?« »Das ist ja nicht ganz so schwer zu erkennen«, entgegnete ich ungehalten. Der Ältere der beiden Beamten trat hervor und sprach eindringlich auf uns ein: »Der Veranstalter der Party geht davon aus, dass Sie mit Ihren Freunden zurückkommen wollen, um sich zu rächen. Wir möchten Ihnen dringend davon abraten. Wir werden hier verstärkt Streife fahren und das nicht zulassen. Sollten Sie trotzdem hier auftauchen, werden Sie alle die Nacht in der Zelle verbringen.«
»Wir haben nicht vor, zurückzukommen«, entgegnete ich. »Das wäre auch besser für Sie«, antwortete der Polizist. »Ich denke, Sie haben genug Ärger für heute gehabt.« Der zweite Beamte näherte sich und schaute auf mein Auge. »Wie sieht’s denn aus? Sind Sie schwer verletzt?« Was hätte ich sagen sollen? »Ich weiß es nicht, ich hab’s selbst noch nicht gesehen«, antwortete ich nach einer kurzen Pause. Er schaute sich die Wunde an: »Das muss auf jeden Fall genäht werden! Das klafft ja richtig auseinander. Wollen Sie vielleicht ins Krankenhaus?«
Darüber hatte ich tatsächlich auch kurz nachgedacht, denn mit einer Verletzung am Auge durfte man nicht spaßen. Das Nähen hätte bestimmt nicht lange gedauert und danach wäre ich wieder voll einsatzbereit gewesen. »Würden Sie mich denn hinfahren?«, entgegnete ich. Bevor er antworten konnte, fiel ihm der ältere Kollege ins Wort. »Nein. Wir können Ihnen einen Krankenwagen rufen, wir fahren Sie aber nicht hin.« »Das dauert mir zu lange«, sagte ich und drehte mich um.
Die Straßenbahn fuhr inzwischen vor und wir stiegen ein. Wir sprachen immer noch nicht. Die
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