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Gewalt ist eine Loesung

Gewalt ist eine Loesung

Titel: Gewalt ist eine Loesung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schubert Stefan
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war mal wieder ich …
    Auf der Disko-Toilette schaute ich mir endlich meine Wunden an. Mein gesamtes linkes Auge war stark geschwollen. Die Platzwunde war bereits verkrustet, sodass sie nicht mehr blutete. Auf der Stirn zeichnete sich eine breite Schürf- und Kratzwunde ab, die ebenfalls von den Fußtritten kam. Mein ganzer Hinterkopf war mit schmerzenden Schwellungen überzogen und der komplette Oberkörper – Rücken und Rippenbogenbereich – von Trittwunden übersät, die sich in den folgenden Tagen zu einem blauvioletten Ganzkörper-Kunstwerk verfärbten.
    Gesicht und Hände wusch ich mit Wasser und Seife, um wenigstens auf den ersten Blick einen halbwegs zivilisierten Eindruck zu machen. Mir war bewusst, dass ich in ein Krankenhaus musste. Der Cut an meinem linken Auge gehörte genäht, aber was sollte ich tun? Ich wusste, dass die Polizei sämtliche Krankenhäuser und Notaufnahmen kontrollieren würde, um nach weiteren Beteiligten der Schlägerei zu fahnden. Ich musste warten. Warten – auf meine Kumpels, die nicht mehr kommen sollten, und warten, bis etwas Zeit verstrichen war.
    Um kurz nach 6 Uhr in der Früh, also vier Stunden nach dieser Schlägerei, steuerte ich die Notaufnahme des Städtischen Krankenhauses an. Ich blickte mich nach allen Seiten um wie ein Verbrecher auf der Flucht, und als ich feststellte, dass die Luft rein war, meldete ich mich in der Notaufnahme an. Die Krankenschwester warf einen flüchtigen Blick auf meine Wunde. Sie bedeutete mir, noch etwas warten zu müssen, weil viel los sei. Daraufhin ging ich in den hinteren Bereich des Wartezimmers. Nur zehn Sekunden später wurde ein englischer Soldat in einem Rollstuhl von einer Krankenschwester an mir vorbeigeschoben. Er konnte mich nicht sehen, da sein Kopf komplett bandagiert war. Sein T-Shirt war blutverschmiert – er sah aus wie ein Kriegsversehrter.
    Ich spürte ein Rasen in meinem Kopf und in der Brust. Was, wenn da noch mehr Engländer sein würden? Was, wenn jetzt plötzlich die Polizei um die Ecke käme? Wenn der Typ hier behandelt wurde, dann doch bestimmt auch die anderen verletzten Engländer. Ich musste schnell verschwinden! Ich wollte gerade gehen, als mich die Schwester aufrief und mich ins Behandlungszimmer wies. Sie erkundigte sich nach meinem Ausweis und den Personalien. Ich gab an, keinen Ausweis dabeizuhaben, und nannte ihr einen falschen Namen und eine falsche Adresse.
    Die Krankenschwester schaute sich meine Platzwunde genauer an. »Waren Sie auch auf dieser Party?«, fragte sie in einem strengen Ton. »Welche Party meinen Sie denn?« Ich spielte den Ahnungslosen. »Ich war in der Innenstadt und wollte nur die Kneipe wechseln, da griffen mich zwei betrunkene Typen an!« Sie schüttelte kritisch den Kopf. »Was heute Abend hier los ist, habe ich lange nicht mehr erlebt. Wir versorgen neun Verletzte – allein von einer Party.« Ich legte mich auf die Liege und sie befragte mich – zur Einschätzung der Betäubungsmitteldosis – nach meinem Alkoholkonsum in den vergangenen 24 Stunden. Lügen half nicht. Etwa eine Flasche Wodka und zehn Bier mussten wohl zusammengekommen sein.
    Die Schwester unterbrach die Behandlung: »Wenn das so ist, kann ich Ihnen keine Betäubung geben.« Sie tränkte einen Tupfer in Desinfektionsflüssigkeit und kratzte das verkrustete Blut ab. Als sie fertig war, teilte sie mir mit, dass die Wunde weit größer sei, als sie zunächst angenommen hatte. Sie erklärte mir, dass der Cut in jedem Fall genäht werden müsste, was allerdings noch dauern würde, da der Arzt noch weit schlimmere Verletzungen zu versorgen hätte. Ich war in der Klemme. Ich wollte so schnell wie möglich aus diesem Krankenhaus rauskommen, bevor mich doch noch jemand entdeckte. Die Schwester bot mir schließlich an, die Wunde zu klammern. Das würde sie sofort erledigen und danach könnte ich umgehend das Krankenhaus verlassen. Die Narbe, die ich zu erwarten hatte, war mir egal – ich ließ sie klammern.
    Gegen 7 Uhr morgens fiel ich endlich ins Bett und schlief vor Erschöpfung sofort ein. Was für ein Tag! Was für eine Gewaltorgie! Und was war da mit mir geschehen? Wollte ich diesem englischen Soldaten tatsächlich die Leuchtmunition ins Kreuz schießen? War ich derart in Rage, dass ich die schlimmen Verbrennungen, die der Kerl vermutlich erlitten hätte, in Kauf genommen hätte? War das vielleicht eine neue Dimension von Gewalt, in die ich da geraten war? Ich wusste auf diese Fragen keine Antworten. Happy New

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