Gewalt ist eine Loesung
Gesicht gerutscht. Mein Gesicht war immer noch blutverschmiert und mein Auge stark geschwollen, blau verfärbt und verkrustet. Der Taxifahrer musterte mich schweigend, dann öffnete ich die Tür und setzte mich auf den Beifahrersitz. Genau in diesem Augenblick raste hinter uns mit Blaulicht und Sirene ein Streifenwagen heran. Er überholte das Taxi und überfuhr die rote Ampel in Richtung Partyzelt.
Der Fahrer fragte nach meinem Fahrziel. Ich sagte ihm, dass ich in die Innenstadt wollte und 100 Meter weiter vier Kumpels von mir stünden, die wir auch mitnehmen sollten. »Kein Problem.« Die Ampel schaltete auf Grün und wir bogen nach links in die Hauptstraße, Richtung Innenstadt, ab. Meine Jungs mussten etwa 150 Meter weiter stehen, da war ich mir sicher. Als wir ein paar Meter weiterfuhren, sah ich zwei Streifenwagen. Quer über die Fahrbahn geparkt mit aufgerissenen Türen. Die Beamten schienen aus dem Auto gesprungen zu sein, als sie meine Kumpels am Straßenrand sahen. Alle vier waren bereits verhaftet. Der Taxifahrer verlangsamte die Fahrt. »Sind das deine Freunde, sollen wir anhalten?« »Nein, nein … weiterfahren!«
Ich blickte verstohlen aus dem Seitenfenster und konnte den Prager Tätowierer erkennen, der mit weit gespreizten Beinen und beiden Händen auf dem Dach des Streifenwagens nach Waffen durchsucht wurde. Wie ich später erfahren sollte, konnte der Tscheche die Beamten nicht verstehen, woraufhin ihm ein Polizist mit seinen Springerstiefeln so hart gegen den linken Fußknöchel trat, um seine Forderung durchzusetzen, dass dieser einfach brach. »Wir fahren weiter«, sagte ich leise.
Der Taxifahrer schaute mich prüfend von der Seite an.
»Was ist los mit dir? Wirst du von der Polizei gesucht?« Der Fahrer mochte etwa 45 Jahre alt sein, vermutlich ein Jugoslawe. Trotz des Polizeiaufgebotes und der ganzen Aufregung blieb er erstaunlich ruhig. Als hätte er selbst schon mal Ärger mit den Behörden gehabt. Er wirkte wie jemand, der seine Abende bei illegalen Pokerrunden in muffigen Hinterzimmern verbringt. Ich überlegte kurz: »Ja, das kann sein.« Der Fahrer schaute mich grimmig an. »Und warum hast du das nicht gleich gesagt?«, entgegnete er vorwurfsvoll. Er griff mit der Hand an meinen Sitz und drehte die Lehne komplett zum Liegesitz nach hinten. Dann drückte er mich in die Lehne: »Leg dich hin und bleib unten.«
Er bog in die nächste Seitenstraße ein und wir verließen auf Schleichwegen den Bereich der Hauptstraße. Weg von den Polizeikontrollen, weg von den Streifenwagen! Ein paar Seitenstraßen weiter richtete ich mich wieder auf. Er sah mich neugierig an. »Und? Wieso suchen sie dich? Was ist passiert?«.
Ich erzählte ihm meine Geschichte: »Wir waren zu fünft auf einer Party und wurden von 20 englischen Soldaten angegriffen. Danach kamen wir mit unseren Kumpels zurück und zahlten es ihnen heim.« »Ja und? Das ist doch normal, dass man sich so etwas nicht gefallen lässt. Wo ist das Problem?« Das war die alles entscheidende Frage: Wo war das Problem? Oder besser: Was war mein Problem? Der Taxifahrer riss mich erneut aus meinem nachdenklichen Schweigen: »Mensch, hättest du das gleich gesagt, dann wären wir erst gar nicht hier lang gefahren.«
Ich ließ mich in unsere Stammdisko, das »Elfenbein«, fahren. Dort setzte ich mich an die Theke, trank ein Bier und wartete auf die Jungs. Aber es kam keiner mehr. Die Bielefelder Polizei war zu gut vorbereitet. Nach der ersten Schlägerei mit den Engländern waren sie von den Party-Veranstaltern schon alarmiert worden. Sie mussten davon ausgehen, dass die ungebetenen Gäste, die im Polizei-Jargon der »Hooligan-Szene« zuzurechnen waren, zurückkommen würden. In Polizeikreisen wusste man, dass wir für zahlreiche brutale Schlägereien in der Stadt verantwortlich waren. Ihnen war klar, dass wir Rache nehmen würden.
Diesen Hinweis hatte der ranghöchste Polizeibeamte vor Ort an die Zentrale weitergeleitet. Von dort wurde veranlasst, dass alle verfügbaren Polizeikräfte in der Nähe blieben. Da es die Silvesternacht war, war die Zahl der Beamten im Einsatz natürlich besonders hoch. Innerhalb kürzester Zeit hatten acht Streifen- und Zivilwagen sowie ein Hundeführer den Tatort erreicht. Von den 30 Jungs der Blue Army, die an der Schlägerei beteiligt waren, wurden an diesem Abend
23 vorläufig festgenommen. Ihre Personalien wurden festgestellt und alle polizeilich bearbeitet. Nur sieben Jungs gelang am Ende die Flucht. Einer davon
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