Gewalt ist eine Loesung
Anzeigen hatten sich die rivalisierenden Gruppen schnell zurückgezogen, was aber die Polizei nicht daran hinderte, ein enormes Aufgebot in die Innenstadt zu schicken. Ich platzte fast vor Neugier. Welche Gruppe hatte gewonnen?
Und dann fasste ich einen verhängnisvollen Entschluss. Ohne nachzudenken, überredete ich Frank, in Richtung Innenstadt zu gehen. Ich wollte einfach erfahren, was da gerade im Gange war. Ich weiß bis heute nicht, ob es Dummheit, Arroganz oder Leichtsinn war, der mich diese Entscheidung treffen ließ. Was sollte passieren, sagte ich mir. Da wir beide nicht dabei waren, würde uns die Polizei auch nichts anhängen können. Fertig. Und los!
Die Innenstadt war gegen 21 Uhr fast ausgestorben. Zielstrebig erreichten wir den Jahnplatz, das Zentrum von Bielefeld. Noch heute sehe ich, wie ein Gruppenwagen der Bielefelder Hundertschaft – auf der Fahndung nach Beteiligten der Schlägerei – an uns vorbeifuhr. Und ich sehe noch heute, wie die Beamten uns misstrauisch musterten – und wie der Wagen plötzlich bremste. Klar, sie hatten Frank identifiziert, der seit seinem Titelbild auf der Neuen Westfälischen nach einem Schlagabtausch gegen Preußen Münster jedem Beamten in der Stadt ein Begriff war.
Zu jener Zeit dürfte Frank einer der bekanntesten und berüchtigtsten Hooligans in Bielefeld gewesen sein. Ein zweifelhafter Ruf, zumal nur wenige Stunden nachdem wir beschlossen hatten, langsam aus der Szene auszusteigen. Der Gruppenwagen blieb neben uns stehen:
»Wart ihr gerade an der Schlägerei beteiligt?«, tönte es aus dem Wageninneren.
Noch bevor ich antworten konnte, hörte ich eine Stimme aus dem hinteren Teil des Wagens. »Das ist doch der Kollege aus der Polizeiinspektion Süd!« Stille. Schweigen. Der Fahrer hakte nach. Ob ich Polizeibeamter sei, wollte er wissen. Sein herablassender Ton gefiel mir gar nicht und meine Antwort fiel entsprechend patzig aus: »Ja, ich bin Polizeibeamter aus dem Süden. Und ich werde ja wohl noch ein Bier trinken dürfen.«
»Ja, aber nicht direkt in der Nähe einer großen Hooligan-Massenschlägerei.« Die Beamten stiegen aus. Sie müssten klären, ob wir an der Schlägerei beteiligt waren oder nicht, hieß es. Einige der Kollegen vor Ort seien bestimmt in der Lage, etwaige Schläger zu identifizieren. Und mit denen würde man nun eine Gegenüberstellung durchführen. »Und dann werden wir ja sehen!«
In meinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Blitzschnell spielte ich verschiedene Möglichkeiten durch. Ich könnte mich weigern, freiwillig mitzufahren. Das würde die Sache heikel machen. Sie könnten die Maßnahme unter Zwang durchsetzen und mich dafür in Gewahrsam nehmen. Für mich keine vorteilhafte Option, da wir bei der Gegenüberstellung eigentlich nichts zu befürchten hatten. Also willigte ich ein. Und Frank hatte sofort verstanden, wie brisant die Sache zu diesem Zeitpunkt für mich werden könnte.
Ich war zum ersten Mal seit meiner Versetzung nach Bielefeld in den Fokus polizeilicher Maßnahmen geraten. Auf gar keinen Fall durften wir die Sache weiter eskalieren lassen. Für mich würde es ohnehin eng werden und Frank überließ das Reden nur noch mir.
Das Unheil nahm seinen Lauf. Aus dem hinteren Teil des Wagens stiegen drei Polizisten aus. Wir wurden nach Waffen durchsucht und mussten uns hinten in das Fahrzeug setzen. In mir brodelte es. Was für eine Demütigung! Frank wurde aufgefordert, seinen Personalausweis abzugeben, der via Funk abgefragt wurde. Die erwartete Antwort kam schnell. »Anton, Gewalttäter Sport, gewalttätig.« Der Begriff »Anton« wurde als Chiffre für mindestens eine rechtskräftige Verurteilung verwendet. Der »Gewalttäter Sport« stand für Franks Eintrag in der Hooligan-Datei des LKA Nordrhein-Westfalen und der Zusatz »gewalttätig« bedeutete ein bereits aktenkundiges Gewaltdelikt wie Körperverletzung.
Diese Eintragungen waren uns bekannt. Ich hatte nur wenige Wochen zuvor heimlich Franks Polizeistatus abgefragt und ihm das Ergebnis mitgeteilt. Keine Überraschungen für uns, aber für die Polizisten natürlich der buchstäblich schlagende Beweis, den richtigen Riecher gehabt zu haben. Ich gab dem Gruppenführer meine Personalien an und bestätigte, dass ich in der Polizeiinspektion Süd in Bielefeld Streife fahren würde. Meine Angaben wurden sofort über Funk durchgegeben. »Kennt jemand einen Polizisten Stefan Schubert?«
Die Antwort kam prompt. Und die Stimme konnte ich sofort erkennen: Es war der
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