Gewalt ist eine Loesung
szenekundige Beamte Volkerts.
»Ja, Stefan Schubert ist mir bekannt. Er ist Polizeibeamter in der PI-Süd und fährt dort Streife. Er ist aber der Hooligan-Szene zuzurechnen. Was liegt gegen ihn vor?« Das war’s! Mir platzte der Kragen. Da hatte ich mich den ganzen Tag aus dem Ärger herausgehalten. Ich war der seit Langem größten Fußball-Schlägerei in Bielefeld aus dem Weg gegangen – und nun saß ich wie ein Schwerverbrecher in einem Polizeiwagen und wurde festgehalten.
Was fiel diesem Volkerts eigentlich ein? Er wusste nur zu gut, dass der Polizeikanal nicht sicher war. Jeder Idiot konnte diesen Funkverkehr abhören und jeder durfte in diesem Augenblick erfahren, dass der Polizist Schubert der Hooligan-Szene zuzurechnen war. Für einen kurzen Moment verlor ich meine Kontrolle: »Dieses Arschloch. Was fällt ihm ein, so eine Scheiße über Funk zu erzählen?!«
Ich musste mich beruhigen. Ich brauchte alle meine Sinne, musste versuchen, so schnell es nur ging wieder nüchtern zu werden und die Kontrolle zurückgewinnen. Das Gruppenfahrzeug hielt in einer Seitenstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs. Hier hatte die Massenschlägerei stattgefunden und hier standen die Beamten, die als Erste bei der Auseinandersetzung eingetroffen waren. Sie bearbeiteten gerade ihre Einsatzberichte, als sie zu der Gegenüberstellung gerufen wurden. Der Polizist schaute in den Wagen, sah mir direkt in die Augen und musterte danach auch Frank. Wortlos ging er zurück und sprach mit dem ranghöchsten Polizisten vor Ort. Was würde er sagen? Was behaupten? Würde er lügen? Er konnte mich nicht gesehen haben, aber durfte ich mir sicher sein, dass er das auch bestätigen würde?
Ich beobachtete, wie er beim Sprechen leicht den Kopf schüttelte und deutete dies als ein »Nein«. Das musste die Entlastung für mich sein. Und die Entwarnung kam tatsächlich: »Herr Schubert, der Kollege hat Sie nicht erkannt. Es liegt nichts gegen Sie vor.« Ich fiel ihm ins Wort. »Das habe ich Ihnen doch schon vor einer halben Stunde gesagt.« Der Beamte sprach ruhig weiter: »Im Moment liegt nichts gegen Sie vor. Wir werden heute keine weiteren polizeilichen Maßnahmen gegen Sie treffen. Sie können gehen.« Ich schaute ihm kurz in die Augen und nickte. Frank und ich konnten gehen.
Ich war aufgewühlt. Jede auch nur erdenkliche Konsequenz, die dieser Abend nach sich ziehen könnte, geisterte durch meinen Kopf. Und dann gingen mir plötzlich noch einmal die Worte dieses Polizisten durch den Kopf: »Im Moment liegt nichts gegen Sie vor.« Im Moment! »Wir werden heute keine weiteren polizeilichen Maßnahmen gegen Sie treffen.« Heute! Was wollte er mir damit sagen? Die innere Unruhe drohte mich aufzufressen.
Am Montag begann mein regulärer Streifendienst um 14:00 Uhr. Ich wusste nicht, was passieren würde. Oder was mich erwarten könnte. Rein faktisch war nichts passiert. Ich war tatsächlich nicht an dieser Schlägerei beteiligt. Ich hatte keine Straftat begangen. Ich hatte Bier getrunken – mit einem einschlägig vorbestraften Fußball-Hooligan. Und ich wurde in der Nähe einer Hooligan-Schlägerei kontrolliert. Aber all das waren keine Straftaten. Es war nicht der geeignete Umgang für einen Ordnungshüter, aber würde das für disziplinarrechtliche Maßnahmen genügen? Einem Polizeibeamten drohten in fast allen strittigen Fragen nicht nur strafrechtliche Folgen, sondern auch disziplinarrechtliche Konsequenzen – auch bei Verstößen, die keine Straftat darstellten. Eigentlich widersprach dies dem Rechtsgrundsatz einer Doppelbestrafung. Aber die Befürworter des Disziplinarrechts bezogen sich auf die Weimarer Reichsverfassung, die bereits 1919 eine besondere Dienst- und Treuepflicht von den Beamten forderte. Der Strafkatalog ermöglichte das Aussprechen einer Beförderungssperre, Strafversetzungen, Geldbußen oder die Kürzung der Bezüge, bis hin zur Entlassung aus dem Polizeidienst. Aber hatte ich mich an diesem Samstag irgendwie schuldig gemacht? In den acht Jahren zuvor hätten all meine Verfehlungen für mehrere Dutzend Entlassungen gereicht – aber hier war gar nichts!
Mit heftigen Herzklopfen fuhr ich an jenem Montag in meine Dienststelle. In der Umkleide zog ich meine Uniform an und steuerte auf mein Waffenschließfach zu. Polizisten war es freigestellt, ihre Dienstwaffe auf der Wache einzuschließen oder mit nach Hause zu nehmen. Meine lag in dem Schrank. Angespannt stand ich vor meinem Waffenschließfach. Sie würden mir doch
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