Gewalt ist eine Loesung
zu werden. Und ich schon gar nicht, schließlich wollte ich zum SEK. Vom Streifendienst hatte ich mittlerweile auch genug. Blödsinnige Einsätze, Unfälle, Verkehrsdelikte, Ruhestörungen und Familienstreitigkeiten im Drei-Schichten-Dienst – kein Traumjob. So etwas tötet die Nerven, die Beziehung und auf Dauer auch die Selbstachtung. Nicht ohne Grund ist der Polizeiberuf einer der Jobs mit der höchsten Scheidungsrate. Übrigens auch mit einer der höchsten Selbstmordquoten.
Ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, die kommenden 30 Jahre Streife fahren zu müssen. Entweder ich schaffte die Prüfung zum SEK oder ich würde irgendwann rausfliegen – so viel stand fest. Mit meinen Jungs hatte ich wenigstens meinen Spaß gehabt. Wir waren zur WM 1994 in den USA, wir waren zur EM 1996 gemeinsam in England – ohne eine einzige gescheite Schlägerei übrigens. Wir waren in Glasgow, Liverpool, Manchester und London. In Spanien, Frankreich, Belgien. Singend und trinkend mit Frank, Paul und den Jungs an der Theke einer schäbigen Bahnhofskneipe stehend, weit weg in einer fremden Großstadt – das waren Momente des perfekten Glücks.
Aber diese Zeiten schienen vorbei zu sein. Frank ging es zu jener Zeit ähnlich. Wir waren müde geworden. Müde von unserem beruflichen und privaten Alltag. Das vormals vergleichsweise freie Hooligan-Leben wurde immer mehr eingeschränkt. Die stetig wachsende Zahl an Überwachungskameras in Stadien und auf Bahnhöfen machte uns das Leben immer schwerer. Vor Europa- und Weltmeisterschaften wurden viele von uns zuletzt mit Ausreiseverboten belegt. Es hagelte Stadionverbote, die szenekundigen Beamten machten lästige Hausbesuche – wir waren an einem Punkt angelangt, wo dieses ständige Katz-und-Maus-Spiel kein echter Thrill mehr war. Und wir hatten begriffen, dass wir unser Leben ruinieren würden, sollten wir so weitermachen.
Den Stadionbesuch hätten wir uns sparen können. Die Arminia verlor in einem peinlichen Spiel mit 1:4 gegen den FC und uns war, als würde sich an diesem Tag alles verdunkeln. Unsere Leidenschaft, unser Team, unsere Vergangenheit und womöglich auch unsere Zukunft …
Die Stadt war voller Polizisten. Der Staat hatte aufgerüstet für den zu erwartenden Showdown. In den Gesichtern der Polizisten konnte man die Anspannung erkennen. Eine bevorstehende Schlacht zwischen Köln und Bielefeld war nicht die Art von Einsatz, die man sich wünschte. Wie wir von Marius erfuhren, den wir in der Innenstadt noch einmal kurz getroffen hatten, waren die Kölner unbemerkt am Treffpunkt angelangt. Die Kneipe lag am Ausgang einer Einkaufspassage, der »Marktpassage«, im Zentrum von Bielefeld. Der vereinbarte Zeitpunkt für den Schlagabtausch war allerdings verschoben worden, weil noch zu viel Polizei in der Stadt weilte. Das alte Versteckspiel hatte wieder begonnen …
Die Schlägerei wurde auf 20:30 Uhr verschoben. Grund genug für Frank und mich, uns gegen 19:30 Uhr von unseren Jungs zu verabschieden. Wir wussten beide, dass wir uns aus reinem Selbstschutz verziehen mussten, denn eigentlich waren wir zu jener Zeit wie Abhängige: In uns kribbelte es, bevor eine Schlägerei überhaupt losging.
Frank und ich zogen weiter in eine miese Säuferkneipe, die nur etwa 100 Meter von der großen innerstädtischen Polizeiwache entfernt war. Von dort aus hatten wir einen guten Überblick, was in der Stadt passieren würde. Und kurz nach 20:30 Uhr ging es auch schon los. Aus der besagten Dienststelle raste ein Streifenwagen nach dem anderen mit Blaulicht und Martinshorn vom Parkplatz. Gruppenfahrzeuge der Hundertschaft schossen an uns vorbei in Richtung »Marktpassage« – die Schlacht hatte also tatsächlich begonnen.
Als wir mit unseren Bierflaschen in der Hand vor der Kneipe standen und den Polizeieinsatz verfolgten, konnte ich in Franks Gesicht deutlich die Anspannung ablesen. Wir mussten beide gar nicht reden. Die Schlägerei tobte und ich sah ihm deutlich an, wie er mit sich rang. Die ersten Nachrichten sickerten durch. In der Innenstadt tobte eine wüste Schlägerei …
Wie wir später erfuhren, hatten die 30 Bielefelder zusammen mit den zehn Hamburgern ohne jede Vorwarnung ihren Angriff gestartet. Die Auseinandersetzung war offenbar kurz, aber heftig und nur deshalb nicht zu einer großen Straßenschlacht eskaliert, weil ein zufällig patrouillierender Streifenwagen mit Blaulicht und Sirene die prügelnde Menge aufgeschreckt hatte. Aus Angst vor Festnahmen und drohenden
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