Gewalt
zurückgingen), die Blütezeit der Völkermörder und Diktatoren in den mittleren Jahrzehnten des 20 . Jahrhunderts, die Zunahme der Verbrechen in den 1960 er Jahren und eine Welle von Bürgerkriegen in den Entwicklungsländern nach dem Ende der Kolonialzeit. Aber alle diese Entwicklungen wurden systematisch umgekehrt, und von unserem heutigen Standpunkt auf der Zeitskala aus weisen die meisten Trends in Richtung des Friedens. Es steht uns vielleicht nicht zu, eine Theorie für alles zu formulieren, aber wir brauchen eine Theorie, die erklärt, warum so viele Entwicklungen die gleiche Richtung einschlagen.
Wichtig, aber widersprüchlich
Zu Anfang möchte ich auf einige Kräfte hinweisen, von denen man glauben könnte, sie wären für die in den Kapiteln 2 bis 7 vorgestellten Prozesse, Friedensbemühungen und Revolutionen von Bedeutung, die es aber nach meinem besten Wissen nicht waren. Das bedeutet nicht, dass diese Kräfte in irgendeiner Form unwichtig wären; es heißt nur, dass sie nicht einheitlich dazu beigetragen haben, die Gewalt zu vermindern.
Bewaffnung und Abrüstung.
Autoren, die von der Gewalt fasziniert oder abgestoßen sind, haben eines gemeinsam: Sie fixieren sich auf Waffen. Militärhistorische Werke, die von und für echte Männer geschrieben wurden, sind versessen auf Langbogen, Steigbügel, Artillerie und Panzer. Viele Bestrebungen zur Verminderung der Gewalt waren Abrüstungsbewegungen: die Dämonisierung der »Kaufleute des Krieges«, die Anti-Atom-Demonstrationen, die Kampagnen für ein strengeres Waffenrecht. Dann gibt es das gegenteilige, aber ebenso auf Waffen fixierte Rezept: Danach macht die Erfindung von undenkbar zerstörerischen Waffen (Dynamit, Giftgas, Atombomben) den Krieg undenkbar.
Die Waffentechnologie hat zweifellos den Verlauf der Geschichte an vielen Stellen verändert: Sie bestimmte über Sieger und Verlierer, machte Abschreckung glaubwürdig und vervielfachte die Zerstörungskraft bestimmter Kontrahenten. Niemand würde beispielsweise behaupten, die Verbreitung automatischer Waffen in den Industrieländern habe dem Frieden gedient. Andererseits findet man in der Geschichte aber kaum einen Zusammenhang zwischen der Zerstörungskraft der Waffen und der Opferzahl in tödlichen Konflikten. Wie jede Technologie, so wurden auch die Waffen im Laufe der Jahrtausende immer besser, aber die Gewaltquoten stiegen deshalb nicht stetig an, sondern sie gingen in einer gezackten, insgesamt aber abwärts verlaufenden Kurve auf und ab. Die Speere und Pfeile der vorstaatlichen Zeit forderten im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mehr Opfer als alle späteren Waffen (Kapitel 2 ), und die Pikenträger und Kavalleriesoldaten des Dreißigjährigen Krieges richteten unter den Menschen mehr Schaden an als Artillerie und Giftgas des Ersten Weltkrieges (Kapitel 5 ). Im 16 . und 17 . Jahrhundert fand zwar eine militärische Revolution statt, sie bestand aber weniger in einem Rüstungswettlauf als vielmehr in einem Wettlauf der Armeen: Regierungen möbelten Größe und Leistungsfähigkeit ihrer Streitkräfte auf. Die Geschichte des Völkermordes zeigt, dass man Menschen mit primitiven Waffen ebenso effizient abschlachten kann wie mit industrieller Technologie (Kapitel 5 und 6 ).
Ebenso wurde der steile Abfall der Gewalt, wie er beispielsweise im Langen Frieden, im Neuen Frieden und während des großen Rückganges der Verbrechen in den Vereinigten Staaten stattfand, nicht dadurch verursacht, dass die Kontrahenten ihre Waffen eingeschmolzen hätten. Der historische Ablauf ging in der Regel sogar anders herum wie beispielsweise bei der Verschrottung von Waffenarsenalen als Teil der Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Krieges. Was den nuklearen Frieden angeht, so haben wir erfahren, dass Atomwaffen den Lauf der Ereignisse auf der Welt angesichts ihrer Nutzlosigkeit im Kampf und der ungeheuren Zerstörungskraft konventioneller Waffen kaum beeinflusst haben (Kapitel 5 ). Und das beliebte (wenn auch bizarre) Argument, Atomwaffen würden von den Großmächten zwangsläufig eingesetzt werden, um die Kosten für ihre Entwicklung zu rechtfertigen, hat sich als schlichtweg falsch erwiesen.
Dass der technologische Determinismus als Theorie für die Geschichte der Gewalt versagt, sollte uns nicht allzu sehr überraschen. Das Verhalten der Menschen wird nicht von Reizen, sondern von Zielen angetrieben, und für das Auftreten von Gewalt ist es am wichtigsten, ob ein Mensch will, dass ein anderer tot ist.
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