Gewalt
Das Klischee der Gegner strengerer Waffengesetze ist buchstäblich wahr: Gewehre töten keine Menschen; Menschen töten Menschen (womit ich die Argumente für oder gegen strengere Waffengesetze nicht unterstützen möchte). Wer die Ausrüstung besitzt, um auf die Jagd zu gehen, Getreide zu ernten, Brennholz zu hacken oder Salat zuzubereiten, verfügt auch über die Mittel, um eine Menge Menschenfleisch zu beschädigen. Da Notwendigkeit die Mutter des Erfindungsreichtums ist, können Menschen ihre Technologie so weit ausbauen, wie ihre Feinde sie dazu zwingen. Mit anderen Worten: Die Bewaffnung scheint zu einem großen Teil ein fester Bestandteil der historischen Dynamik zu sein, die zu einem starken Rückgang der Gewalt führt. Wenn Menschen raublustig oder verängstigt sind, entwickeln sie die benötigten Waffen; haben kühlere Köpfe die Oberhand, rosten die Waffen friedlich vor sich hin.
Ressourcen und Macht.
In meiner Studienzeit in den 1970 er Jahren hatte ich einen Professor, der jedem, der ihm zuhörte, die Wahrheit über den Vietnamkrieg sagte: Es gehe in Wirklichkeit um Wolfram. Wie er entdeckt hatte, enthielt das Südchinesische Meer die weltweit größten Lagerstätten des Metalls, das für Glühdrähte in Glühbirnen und zur Herstellung besonders harten Stahls gebraucht wurde. Die Debatten um Kommunismus, Nationalismus und Eindämmung, so erklärte er, seien nur ein Deckmantel für den Kampf der Supermacht um die Kontrolle dieser lebenswichtigen Ressource.
Die Wolfram-Theorie des Vietnamkrieges ist ein Beispiel für Ressourcendeterminismus, das heißt für die Vorstellung, Menschen müssten um endliche Ressourcen wie Land, Wasser, Bodenschätze und strategisches Gelände zwangsläufig kämpfen. Eine Version besagt, Konflikte entstünden aus der ungleichmäßigen Verteilung von Ressourcen, und Frieden werde dann einkehren, wenn sie gleichmäßiger verteilt sind. Eine andere fließt in »realistische« Theorien ein, die in Konflikten um Land und Ressourcen ein dauerhaftes Merkmal der internationalen Beziehungen sehen; Frieden ist demnach das Ergebnis eines Machtgleichgewichts, in dem jede Seite davor zurückschreckt, in die Einflusssphäre der anderen vorzudringen.
Konkurrenz um Ressourcen ist zwar in der Geschichte eine lebenswichtige Dynamik, sie liefert aber kaum Aufschlüsse über die großen Trends bei der Gewalt. Die destruktivsten Gewaltausbrüche des letzten halben Jahrtausends bezogen ihre Triebkraft nicht aus einem Mangel an Ressourcen, sondern aus Ideologien wie Religion, Revolution, Nationalismus, Faschismus und Kommunismus (Kapitel 5 ). Dass es bei einer dieser Katastrophen wirklich um Wolfram oder irgendeine andere versteckte Ressource ging, kann niemand beweisen, und alle Bemühungen, so etwas zu belegen, müssen zwangsläufig wie eine abstruse Verschwörungstheorie wirken. Und was das Machtgleichgewicht angeht, so stürzten die Umwälzungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wiedervereinigung Deutschlands die Welt nicht in ein hektisches Gerangel. Sie hatten vielmehr auf den Langen Frieden unter den Industriestaaten keine erkennbaren Auswirkungen, und in den Entwicklungsländern wurden sie zu Vorboten eines Neuen Friedens. Auch hatte keine dieser angenehmen Überraschungen ihren Ursprung in der Entdeckung oder Umverteilung von Ressourcen. In Wirklichkeit erweisen sich Ressourcen in den Entwicklungsländern häufig nicht als Segen, sondern als Fluch. Staaten mit großen Vorräten an Öl und Bodenschätzen haben zwar einen größeren Kuchen, den sie an ihre Bürger verteilen können, sie gehören aber dennoch zu denen mit dem größten Ausmaß an Gewalt (Kapitel 6 ).
Auch dass zwischen der Kontrolle über Ressourcen und der Gewalt nur ein so lockerer Zusammenhang besteht, sollte uns nicht überraschen. Wie wir aus der Evolutionspsychologie wissen, können Männer immer um Frauen, Status und Dominanz streiten, ganz gleich, wie reich oder arm sie sind. Die Wirtschaftswissenschaftler erklären uns, dass Reichtum seinen Ursprung nicht in Land mit irgendetwas darauf oder darin hat, sondern in der Mobilisierung von Erfindungsreichtum, Anstrengung und Kooperation, mit denen dieses Etwas zu nützlichen Produkten verarbeitet wird. Wenn Menschen die Arbeit teilen und die Früchte ihrer Tätigkeit untereinander austauschen, kann der Wohlstand wachsen, und alle gewinnen. Die Konkurrenz um Ressourcen ist demnach keine Naturkonstante, sondern ein Bestandteil jenes Geflechts
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