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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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werden zwischen Liberalen und Konservativen viele Konflikte über Schul-Lehrpläne und Museumsausstellungen ausgetragen.
    Das beste Gegengift gegen selbstwertdienliche Legenden sind zwar historische Tatsachen, aber auch die phantasievollen Projektionen der erzählenden Literatur können dem Moralgefühl eines Publikums eine neue Richtung geben. Die Protagonisten vieler literarischer Werke kämpfen mit Konflikten zwischen einer Moral, die durch Loyalität, Gehorsam, Patriotismus, Pflichterfüllung, Gesetze oder Konventionen definiert ist, und einer moralisch vertretbaren Handlungsweise. In dem 1967 erschienenen Film
Der Unbeugsame
(Originaltitel
Cool Hand Luke
) steht ein Gefängniswärter im Begriff, Paul Newman in eine winzige Zelle einzuschließen, und erklärt: »Tut mir leid, Luke, ich mache nur meinen Job. Das musst du doch einsehen.« Worauf Luke erwidert: »Nee – davon, dass du es deinen Job nennst, wird es nicht besser, Boss.«
    Seltener kann ein Autor seine Leser zu der Erkenntnis bewegen, dass auch das Gewissen selbst in der Frage, was richtig ist, keinen vertrauenswürdigen Leitfaden darstellt. Als Huckleberry Finn den Mississippi hinuntertreibt, überfallen ihn plötzlich Schuldgefühle, weil er Jim geholfen hat, vor seinem rechtmäßigen Eigentümer zu fliehen und einen freien Bundesstaat zu erreichen.
    Jim sprach immer laut vor sich hin, während ich’s mit mir selber leise abmachte. Wenn er erst frei wäre – sagte er –, wolle er schaffen wie ein Pferd und sparen, sparen, bis er sein Weib loskaufen könne, das zu einer Farm in der Nähe von Miss Watson gehörte. Dann wollten sie beide für die Kinder sparen, und wenn ihr Herr diese nicht gegen Geld und gute Worte an sie abtreten wolle, so werde er irgendeinen Abolitionisten bitten, sie zu stehlen.
    Mir gefror das Mark in den Knochen, als ich das Zeug hörte … Denk’ ich, das kommt davon! Hast du einem Nigger geholfen davonzulaufen, und, kaum am Ziel, sagt er dir ganz naiv und unverfroren, er wolle seine Kinder stehlen – Kinder, die einem Mann gehören, den ich nicht einmal kenne, der mir nie was zuleid getan hat …
    Mein Gewissen rumorte in mir toller als je, bis ich ihm zuletzt zuflüstre: »Sei still, es ist ja noch nicht zu spät, sowie ich das erste Licht sehe, gehe ich ans Ufer und zeig’s an.« … Alles, was mich gequält, war mit einemmal verschwunden und wie weggeblasen. Ich spähe nach einem Licht … Da zeigt sich eins …
    [Jim] springt nach dem Boot, hat’s im Nu flott gemacht, legt mir noch seinen alten Rock auf die Bank, um den Sitz bequem zu machen, drückt mir das Ruder in die Hand und jauchzt, indem ich abstoße: »Alte Jim bald wird singen vor Freud! Wird er sagen: Alles, alles danken Huck! Jim sein freie Mann, wären nie nix gewesen freie Mann ohne Huck, gute, alte, treue Huck! Jim nix vergessen das, Huck! Huck Finn sein arme, alte schwarze Nigger seine beste Freund, sein alte Jim seine einzigste Freund!«
    Und ich war eben im vollen Begriff, ihn zu verraten, um mein Gewissen zu beruhigen! Als er so zu mir redete, wurde ich weich wie ein Waschlappen … [1849]
    In dieser herzzerreißenden Szene drängt ein Gewissen, das von Prinzipien, Gehorsam, Gegenseitigkeit und Sympathie für einen Fremden geprägt ist, Huck in die falsche Richtung, und die unmittelbare Sympathie für einen Freund (die im Geist des Lesers noch durch die Vorstellung von Menschenrechten verstärkt wird) drängt ihn in die richtige. Dies ist vielleicht das schönste Bild dafür, wie anfällig das Moralgefühl des Menschen für konkurrierende Überzeugungen ist, von denen die meisten moralisch nicht tragfähig sind.

Kapitel 10 Auf Engelsflügeln
    Wenn der Mensch in der Kultur fortschreitet und kleinere Stämme zu größeren Gemeinschaften vereinigt werden, so wird das einfachste Nachdenken jedem Individuum sagen, dass es seine sozialen Instinkte und Sympathien auf alle Glieder der Nation auszudehnen hat, selbst wenn sie ihm persönlich unbekannt sind. Ist dieser Punkt einmal erreicht, so besteht dann nur noch eine künstliche Grenze, welche ihn abhält, seine Sympathie auf alle Menschen aller Nationen und Rassen auszudehnen.
    Charles Darwin,
Die Abstammung des Menschen [1938]
    Dieses Buch erwuchs aus einer Antwort auf die Frage »In welcher Hinsicht sind Sie optimistisch?«, und ich hoffe, die vielen hier angeführten Zahlen haben dazu geführt, dass Ihre Einschätzung der Welt sich von der hergebrachten düsteren Weisheit entfernt hat. Aber

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