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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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Zerstörung. Welchen Frieden eine glaubwürdige Abschreckungspolitik auch versprechen mag, er ist zerbrechlich: Abschreckung verringert die Gewalt nur durch Androhung von Gewalt. Jedes gewaltlose Zeichen der Respektlosigkeit muss mit einer gewalttätigen Machtdemonstration beantwortet werden, woraufhin dieser Gewaltakt in einem endlosen Kreislauf der Vergeltung zum nächsten führt. Wie wir in Kapitel 8 genauer erfahren werden, lässt die eigennützige Voreingenommenheit, ein wichtiges Konstruktionsmerkmal im Wesen des Menschen, unter Umständen jede Seite glauben, ihre eigene Gewalt sei eine gerechtfertigte Vergeltung, die des anderen aber eine nicht provozierte Aggression.
    Hobbes’ Analyse gilt für ein Leben im Zustand der Anarchie. Einen Ausweg deutet der Titel seines Meisterwerks an: der Leviathan, eine Monarchie oder eine andere Regierungsautorität, die den Willen des Volkes verkörpert und ein Monopol auf die Anwendung von Gewalt hat. Indem der Leviathan Aggressoren mit Strafen belegt, kann er bei diesen den Anreiz für die Aggressionen beseitigen; das wiederum entschärft die allgemeinen Ängste vor Präventivschlägen, und es beugt dem Bedürfnis vor, beim geringsten Anlass mit einem Vergeltungsschlag die eigene Entschlossenheit unter Beweis zu stellen. Da der Leviathan außerdem ein uninteressierter Dritter ist, leidet er auch nicht unter der Voreingenommenheit, die bei anderen Parteien durch den Chauvinismus entsteht, weil jede Seite glaubt, der Gegner habe ein finsteres Herz, während das eigene so rein und weiß wie Schnee ist.
    Die Logik des Leviathan lässt sich als Dreieck darstellen. Bei jedem Gewaltakt gibt es drei interessierte Parteien: den Aggressor, das Opfer und einen Zuschauer. Jeder von ihnen hat ein Motiv für die Gewalt: der Aggressor will das Opfer ausbeuten, das Opfer will Vergeltung üben, und der Zuschauer will den durch den Konflikt entstehenden Kollateralschaden so gering wie möglich halten. Gewalt zwischen Aggressor und Opfer kann man Krieg nennen; Gewalt, die der Zuschauer gegenüber den Konfliktparteien ausübt, nennt man häufig Gesetz.
    Kurz gefasst, lautet die Leviathan-Theorie: Gesetz ist besser als Krieg.
    Abbildung  2 - 1 :
    Das Dreieck der Gewalt
    Hobbes’ Theorie ermöglicht eine überprüfbare Voraussage über Gewalt in der Menschheitsgeschichte. Der Leviathan hatte seinen ersten Auftritt in einem späten Akt des menschlichen Schauspiels. Wie wir von den Archäologen wissen, lebten die Menschen in einem Zustand der Anarchie, bis sich vor rund 5000  Jahren die Zivilisation herausbildete. Damals schlossen sich sesshafte Bauern in Städten und Staaten zusammen, die ersten Regierungen entstanden. Wenn Hobbes’ Theorie zutrifft, sollte dieser Übergang auch den ersten größeren Rückgang der Gewalt in der Geschichte angestoßen haben. Bevor es die Zivilisation gab, lebten die Menschen ohne »eine gemeinsame Macht, die sie alle in Ehrfurcht hielt«, und ihr Leben müsste demnach unangenehmer, brutaler und kürzer gewesen sein als in späteren Zeiten, in denen bewaffnete Autoritäten ihnen den Frieden aufzwangen – eine Entwicklung, die ich als Befriedungsprozess bezeichnen möchte. Hobbes behauptete, die »Wilden an vielen Orten Amerikas« lebten in einem Zustand der gewalttätigen Anarchie, aber er erläutert nicht genauer, wen er damit meint.
    Mangels handfester Kenntnisse konnte damals jedermann beliebige Vermutungen über primitive Völker anstellen, und so dauerte es nicht lange, bis eine Gegentheorie formuliert wurde. Hobbes’ Opponent war dabei der in der Schweiz geborene Philosoph Jean-Jacques Rousseau ( 1712 – 1778 ). Er war der Ansicht, nichts sei »so sanft wie der Mensch in seinem anfänglichem Zustand … Das Beispiel der Wilden … scheint zu bestätigen, daß das Menschengeschlecht dazu geschaffen war, für immer in ihm zu verbleiben; … und daß alle späteren Fortschritte … ebenso viele Schritte zum Verfall der Art gewesen sind.« [66]
    Die Philosophie von Hobbes und Rousseau war zwar komplizierter als »unangenehm, brutal und kurz« kontra »der edle Wilde«, die gegensätzlichen Klischees über das Leben im Naturzustand gaben aber den Anlass zu einer Kontroverse, die uns auch heute noch begleitet. In meinem Buch
Das leere Blatt
habe ich dargelegt, wie diese Diskussion zu einem wachsenden emotionalen, moralischen und politischen Ballast geführt hat. Rousseaus romantische Theorie wurde in der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts zur

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