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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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Überlebensmaschinen ein, ob diese nun der eigenen oder einer fremden Art angehören. [60]
    Wer schon einmal zugesehen hat, wie ein Falke einen Star zerfleischt, wie ein stechendes Insekt ein Pferd quält oder wie das Aids-Virus einen Menschen langsam tötet, der hat unmittelbare Bekanntschaft mit den Methoden gemacht, mit denen Überlebensmaschinen andere Überlebensmaschinen kaltblütig ausnutzen. In großen Teilen der Natur ist Gewalt einfach der Normalzustand, der keine weitere Erklärung braucht. Handelt es sich bei den Opfern um Angehörige anderer biologischer Arten, bezeichnen wir die Aggressoren als Räuber oder Parasiten. Die Opfer können aber auch zu derselben Art gehören. Kindesmord, Geschwistermord, Kannibalismus, Vergewaltigung und tödliche Kämpfe sind bei vielen Tierarten belegt. [61]
    Der Absatz von Dawkins mit seinen sorgfältig gewählten Worten erklärt auch, warum die Natur nicht ein einziges großes, blutiges Durcheinander ist. Zum einen neigen Tiere weniger dazu, ihren engen Verwandten Schaden zuzufügen, denn jedes Gen, das ein Tier dazu veranlasst, Verwandte zu schädigen, schädigt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Kopie seiner selbst, die sich in diesen Verwandten befindet; dann aber wird es von der natürlichen Selektion in der Regel beseitigt. Wichtiger ist aber etwas anderes: Wie Dawkins betont, unterscheidet sich ein anderes Lebewesen von einem Felsen oder Fluss, weil es
dazu neigt, zurückzuschlagen
. Jedes Lebewesen, das aufgrund seiner Evolution gewalttätig geworden ist, gehört zu einer Spezies, deren andere Mitglieder sich im Durchschnitt zu ebenso gewalttätigen Organismen entwickelt haben. Wenn man seinesgleichen angreift, ist der Gegner meist ebenso stark und kampflustig wie man selbst, und er ist auch mit den gleichen Waffen und Verteidigungsmechanismen ausgerüstet. Die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst verletzt wird, wenn man ein Mitglied der eigenen Spezies angreift, stellt einen wirkungsvollen Selektionsdruck dar, der undifferenziertes Angreifen oder Um-sich-Schlagen verhindert. Auch die hydraulische Metapher und andere volkstümliche Theorien der Gewalt wie Blutdurst, Todeswunsch, Killerinstinkt und andere destruktive Wünsche, Triebe und Impulse sind demnach ausgeschlossen. Wenn sich in der Evolution eine Neigung zur Gewalt entwickelt, ist sie immer
strategischer
Natur. Lebewesen wenden Gewalt aufgrund ihrer Selektion nur dann an, wenn der voraussichtliche Nutzen schwerer wiegt als die voraussichtlichen Kosten. Ein solches Urteilsvermögen sollten insbesondere intelligente Arten besitzen, die aufgrund ihres großen Gehirns auf den voraussichtlichen Nutzen und Preis in einer bestimmten Situation achten können, statt nur in entwicklungsgeschichtlichen Zeiträumen die durchschnittlichen Chancen abzuwägen.
    Mit der Logik der Gewalt und ihrer Anwendung auf die Mitglieder einer intelligenten Spezies, die anderen Mitgliedern derselben Spezies gegenüberstehen, sind wir bei Hobbes. In einem bemerkenswerten Absatz seines 1651 erschienenen Werkes
Leviathan
liefert er mit noch etwas über 100 Wörtern eine Analyse der Anreize zur Gewalt, die ebenso gut ist wie alles, was heute geschrieben wird:
    So finden wir in der Natur des Menschen drei Hauptursachen für Konflikte: erstens Konkurrenz, zweitens Unsicherheit, drittens Ruhmsucht.
    Die erste veranlasst die Menschen, wegen des Gewinns anzugreifen, die zweite wegen der Sicherheit und die dritte wegen des Ansehens. Die ersten gebrauchen Gewalt, um sich zum Herrn von anderer Menschen Personen, Frauen, Kinder und Vieh zu machen; die zweiten, um sie zu verteidigen; die Dritten wegen Bagatellen wie ein Wort, ein Lächeln, eine unterschiedliche Meinung und jedes andere Zeichen von Unterschätzung, die entweder ihre eigene Person betreffen oder ein schlechtes Licht auf ihre Verwandten, ihre Freunde, ihre Nation, ihren Beruf oder ihren Namen werfen. [62]
    Für Hobbes ist Konkurrenz also die unvermeidliche Folge, wenn Handelnde ihre Interessen wahrnehmen. Heute erkennen wir, dass sie in den Evolutionsprozess eingebaut ist. Überlebensmaschinen, die Konkurrenten mit Gewalt von Ressourcen wie Nahrung, Wasser und wünschenswertem Territorium vertreiben können, pflanzen sich schneller fort als diese Konkurrenten, und dann ist die Welt irgendwann voller Überlebensmaschinen, die sich für einen solchen Wettbewerb besonders gut eignen.
    Heute wissen wir auch, warum »Ehefrauen« eine der Ressourcen sind, um die Männer konkurrieren.

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