Gewalt
Viele junge Männer gelangten zu dem Entschluss, dass sie nicht mehr auf Maggie’s Farm arbeiten wollten, und statt ein bürgerliches Familienleben zu führen, trieben sie sich in Männergruppen herum, in denen der übliche Kreislauf aus Konkurrenz um die Vorherrschaft, Beleidigungen, kleineren aggressiven Akten und gewalttätiger Vergeltung in Gang kam. Zu dieser zweifelhaften Freiheit trug auch die sexuelle Revolution bei, die den Männern eine Fülle sexueller Gelegenheiten verschaffte, ohne dass sie die Verantwortung einer Ehe übernehmen mussten. Manche Männer versuchten, sich ein Stück von dem lukrativen Handel mit geschmuggelten Drogen zu sichern, bei dem Selbstjustiz der einzige Weg ist, um Eigentumsrechte durchzusetzen. Besonders niedrig war Ende der 1980 er Jahre die Schwelle für den Eintritt in den mörderischen Markt mit Crack-Kokain, denn diese Droge konnte man in kleinen Mengen verkaufen. Der Zustrom jugendlicher Drogendealer war vermutlich die Ursache, dass die Mordquote zwischen 1985 und 1991 um 25 Prozent anstieg. Und zusätzlich zur Gewalt, die jeden Schmugglermarkt begleitet, senkten viele dieser Drogen zusammen mit dem guten alten Alkohol die Hemmschwellen und dienten als Funken für den allgegenwärtigen Zunder.
Was wohl nicht besonders betont zu werden braucht: Der Entzivilisierungsprozess traf die Gemeinschaften der Afroamerikaner besonders hart. Sie hatten historisch ohnehin den Nachteil, Bürger zweiter Klasse zu sein, so dass viele junge Leute zwischen der Lebensweise von Bürgertum und Unterschicht schwankten, und dann wurden sie von den neuen, Establishment-feindlichen Kräften in die falsche Richtung gedrängt. Noch weniger als weiße Amerikaner konnten sie auf den Schutz durch die Strafjustiz rechnen; die Gründe lagen einerseits in dem alten Rassismus bei der Polizei und andererseits in der neuen Nachsicht der Justiz gegenüber den Verbrechen, bei denen sie unverhältnismäßig oft die Opfer waren. [267] Misstrauen gegen das Strafrechtssystem schlug in Zynismus und manchmal Paranoia um und ließ Selbstjustiz als einzige Alternative erscheinen. [268]
Zu allem Überfluss kam zu diesen Nachteilen noch ein Aspekt des afroamerikanischen Familienlebens hinzu, auf den der Soziologe Daniel Patrick Moynihan in seinem berühmten, 1965 erschienenen Bericht »The Negro Family in America« aufmerksam machte – wofür er anfangs geschmäht, am Ende aber rehabilitiert wurde. [269] Ein großer Anteil (heute die Mehrheit) der farbigen Kinder wird unehelich geboren, und viele von ihnen wachsen ohne Vater auf. Dieser Trend, der bereits Anfang der 1960 er Jahre zu erkennen war, dürfte sich durch die sexuelle Revolution verstärkt haben, und einen weiteren Schub erhielt er durch perverse soziale Anreize, die junge Frauen ermutigten, nicht den Vater ihrer Kinder, sondern »den Staat zu heiraten«. [270] Ich bin zwar skeptisch gegenüber Theorien über elterlichen Einfluss, wonach vaterlose Jungen als Gewalttäter aufwachsen, weil ihnen ein Vorbild oder die väterliche Autorität fehlt (Moynihan zum Beispiel wuchs selbst ohne Vater auf), aber wenn Väter weithin nicht vorhanden sind, kann dies aus einem anderen Grund zu Gewalt führen. [271] Die vielen jungen Männer, die nicht ihre Kinder großziehen, tun sich stattdessen mit ihresgleichen zusammen und konkurrieren um Vorrangstellung. Diese Mischung war in den Innenstädten ebenso gefährlich wie in den Cowboysaloons und Goldgräberlagern des Wilden Westens – dieses Mal aber nicht deshalb, weil keine Frauen in der Nähe gewesen wäre, sondern weil den Frauen die Verhandlungsmacht fehlte, mit der sie die Männer zu einer zivilisierten Lebensweise hätten zwingen können.
Kapitel 4 Die Humanitäre Revolution
Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Gräueltaten zu begehen.
Voltaire
Es gibt auf der Welt eine Menge seltsamer Museen. Da ist beispielsweise das Museum of Pez Memorabilia im kalifornischen Burlingame, in dem man mehr als 500 Bonbonspender mit den Köpfen von Comic-Figuren bewundern kann. Paris-Besucher standen lange Zeit Schlange vor dem Museum, das der Kanalisation der Stadt gewidmet ist. Das Devil’s Rope Museum in McLean (Texas) »zeigt Stacheldraht in allen Einzelheiten und Aspekten«. In Tokio lädt das Meguro-Museum für Parasitologie seine Besucher ein, »ohne Angstgefühle über Parasiten nachzudenken und sich die Zeit zu nehmen, mehr über die wunderbare Welt der Parasiten zu
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