Gewalt
brutale Regime ihre politischen Gegner einschüchterten oder gemäßigte Regierungen sich Informationen von verdächtigen Terroristen beschafften. Sie brach sich nicht in einer aufgebrachten Menschenmenge Bahn, die zum Hass gegen einen entmenschlichten Feind aufgestachelt war. Nein, die Folter war im Geflecht des öffentlichen Lebens verwoben. Sie war eine Form der Bestrafung, die kultiviert und gefeiert wurde, ein Ventil der technischen und künstlerischen Kreativität. Viele Folterinstrumente waren wunderschön konstruiert und verziert. Sie waren nicht nur so gestaltet, dass sie körperliche Schmerzen verursachten wie einfache Schläge, sondern sie sollten instinktives Entsetzen erzeugen, indem sie in empfindliche Öffnungen eindrangen, die Hülle des Körpers verletzten, die Opfer in demütigenden Haltungen zeigten oder sie in eine Lage brachten, in der die eigenen, nachlassenden Kräfte die Schmerzen verstärkten und zu Entstellungen oder zum Tod führten. Folterknechte waren zu jener Zeit die besten Experten für Anatomie und Physiologie: Sie nutzten ihr Wissen, um möglichst große Qualen zu erzeugen, vermieden Nervenschäden, die den Schmerz betäubt hätten, und sorgten dafür, dass die Opfer vor dem Tod so lange wie möglich bei Bewusstsein blieben. Wenn es sich bei den Opfern um Frauen handelte, hatte der Sadismus eine erotische Komponente: Die Frauen wurden vor der Folter nackt ausgezogen, und häufig waren Brüste oder Genitalien das Ziel. Im Angesicht der Qualen machte man sich mit kaltschnäuzigen Witzen über die Opfer lustig. Die Judaskrippe wurde in Frankreich auch »Nachtwache« genannt, weil sie ein Opfer wach halten konnte. Oder man röstete ein Opfer bei lebendigem Leib in Inneren eines eisernen Stiers, so dass die Schreie aus dem Maul des Stiers kamen wie das Brüllen einer Bestie. Lautete der Vorwurf auf Störung des Friedens, musste der Delinquent unter Umständen eine »Krachmacherpfeife« tragen, die Nachbildung einer Flöte oder Trompete, die mit einem Eisenband am Hals des Opfers befestigt wurde, während ein Schraubstock die Fingerknochen und -gelenke zerquetschte. Viele Foltergeräte waren wie Tiere geformt und trugen phantasievolle Namen.
Das Christentum des Mittelalters war eine Kultur der Grausamkeiten. Sie wurden überall in Europa von nationalen und lokalen Machthabern auferlegt und in Gesetzen niedergelegt, die Blenden, Brandmarken, die Amputation von Händen, Ohren, Nase und Zunge oder andere Formen der Verstümmelung als Bestrafung für kleinere Verbrechen vorschrieben. Hinrichtungen waren Orgien des Sadismus, und ihren Höhepunkt fanden sie in verschiedenen Formen der hinausgezögerten Tötung: Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, Aufs-Rad-Flechten, Auseinanderreißen durch Pferde, Pfählen durch den After, Ausweiden durch Aufspulen der Gedärme und sogar das Hängen, das aber kein schneller Genickbruch war, sondern ein langsames, qualvolles Erwürgen. [327] Auch die christliche Kirche fügte den Menschen im Rahmen von Inquisition, Hexenverfolgung und Religionskriegen sadistische Foltern zu. Die Folter war 1251 von dem ironischerweise Innozenz IV . benannten Papst ausdrücklich gebilligt worden und wurde vom Mönchsorden der Dominikaner mit Vergnügen angewandt. Wie der Bildband
Inquisition
berichtet, war der Hunger der Inquisition unter Papst Paul IV . ( 1555 – 1559 ) »beinahe unstillbar – Paul, ein Dominikaner und ehemaliger Großinquisitor, war selbst ein Meister der Folter«. [328]
Folter war nicht nur eine Art raue Justiz, ein kruder Versuch, von Gewalt mit der Androhung noch größerer Gewalt abzuschrecken. Die meisten Vergehen, derentwegen Menschen auf die Folterbank oder den Scheiterhaufen kamen, waren nicht nur gewaltloser Natur, es waren sogar Taten, die wir heute überhaupt nicht als strafwürdig ansehen würden, wie beispielsweise Ketzerei, Gotteslästerung, Abfall vom Glauben, Regierungskritik, Tratsch, Gezeter, Ehebruch und unkonventionelle Sexualpraktiken. Sowohl die christliche als auch die vom römischen Recht abgeleitete weltliche Justiz bediente sich der Folter, um ein Geständnis zu erpressen und den Verdächtigen daraufhin zu verurteilen, der offensichtlichen Tatsache zum Trotz, dass jemand so gut wie alles sagt, damit die Schmerzen aufhören. Folter, um ein Geständnis zu erzwingen, ist daher noch sinnloser als Folter zur Abschreckung, zur Einschüchterung oder zur Gewinnung nachprüfbarer Informationen über Namen von Komplizen oder
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