Gewalt
Repression mit politischer Unterdrückung und setzte sich dafür ein, sich im Rahmen des revolutionären Kampfes von Hemmungen zu befreien. Störenfriede galten zunehmend als Rebellen und Nonkonformisten oder aber als Opfer von Rassismus, Armut und schlechtem Elternhaus. Graffiti-Vandalen waren jetzt »Künstler«, Diebe waren »Klassenkämpfer«, und Randalierer aus der Nachbarschaft waren »Führer der Gemeinschaft«. Viele kluge Menschen ließen sich von der radikalen Mode betören und taten unglaublich dumme Dinge. Absolventen von Eliteuniversitäten bauten Bomben, die sie vor sozialen Einrichtungen der Armee zündeten, oder sie fuhren den Fluchtwagen, wenn »Radikale« bei bewaffneten Raubüberfällen auf Wachleute schossen. New Yorker Intellektuelle wurden von Marxogeschwätz speienden Psychopathen für dumm verkauft und setzten sich dafür ein, dass diese aus dem Gefängnis freigelassen wurden. [261]
Von der sexuellen Revolution der frühen 1960 er Jahre bis zum Aufstieg des Feminismus nach 1970 galt es für einen aufgeklärten Mann als unverzichtbar, über die Sexualität von Frauen zu bestimmen. Prahlerei mit sexuellem Zwang und Gewalt aus Eifersucht tauchten in Romanen und Filmen (beispielsweise
Uhrwerk Orange
) ebenso auf wie in Rocksongs, zum Beispiel in
Run for Your Life
von den Beatles,
Down by the River
von Neil Young,
Hey Joe
von Jimi Hendrix und »Who do you love?« von Ronnie Hawkins. [262] Sie wurden sogar durch »revolutionäre« politische Schriften in einen rationalen Rahmen gestellt. Elridge Cleaver, der Führer der Black-Panther-Bewegung, schrieb in seinem Bestseller
Seele auf Eis
:
Vergewaltigung war eine aufwühlende Tat. Es begeisterte mich, das Gesetz des weißen Mannes und sein Wertsystem herauszufordern, es mit Füßen zu treten und seine Frauen zu schänden; dieser Punkt, glaube ich, gab mir die größte Genugtuung, denn ich war empört darüber, auf welche Weise der weiße Mann die schwarze Frau im Laufe der Geschichte missbraucht hatte. Ich fühlte, dass ich meine Rache erhielt. [263]
Irgendwie tauchen die Belange der Frauen, die in diesem rebellischen Akt geschändet worden sind, weder in seinen politischen Prinzipien auf noch in der Reaktion der Kritik auf sein Buch:
New York Times
: »Brillant und aufschlussreich«;
The Nation
: »Ein bemerkenswertes Buch … brillant geschrieben«;
Atlantic Monthly
: »Ein intelligenter, stürmischer, leidenschaftlicher und eloquenter Mann«. [264]
Als Richter und Gesetzgeber auf die rationale Begründung der Verbrechen aufmerksam wurden, zögerten sie zunehmend, Störenfriede hinter Gitter zu bringen. Durch die Reform der Bürgerrechte in dieser Zeit wurden zwar nicht annähernd so viele bösartige Kriminelle »wegen Formfehlern freigelassen«, wie man nach den
Dirty Harry
-Filmen und anderen populären Medienprodukten vermuten könnte, eines aber stimmt sicher: Mit der Zunahme der Verbrechensquote trat die Durchsetzung der Gesetze den Rückzug an. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verbrechen zu einer Festnahme führte, sank in den Vereinigten Staaten von 1962 bis 1979 von 32 auf 18 Prozent, die Wahrscheinlichkeit, dass eine Festnahme zu einer Haftstrafe führte, sank von 32 auf 14 Prozent, und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verbrechen zu einer Haftstrafe führte, ging von 10 auf 2 Prozent zurück, also auf ein Fünftel. [265]
Noch misslicher als Urteile, durch die einzelne Übeltäter wieder auf freien Fuß kamen, waren Entscheidungen, die zu einer Entkopplung von Strafverfolgung und Kommunen sowie im weiteren Verlauf zum Verfall des nachbarschaftlichen Lebens führten. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung wie Landstreicherei, Herumlungern und Betteln wurden entkriminalisiert, und Bagatelldelikte wie Vandalismus, Graffitisprühen, das Überspringen von Drehkreuzen und das Urinieren in der Öffentlichkeit verschwanden vom Radarschirm der Polizei. [266] Dank vorübergehend wirksamer Psychopharmaka und einer veränderten Einstellung gegenüber abweichendem Verhalten leerten sich die Stationen der psychiatrischen Kliniken, während die Zahl der Obdachlosen zunahm. In ihrem Wohnviertel verwurzelte Ladenbesitzer und Bürger, die vor Ort ein Auge auf Fehlverhalten geworfen hatten, überließen schließlich Vandalen, Bettlern und Räubern das Feld, packten ihre Sachen und zogen sich in die Vorstädte zurück.
Der Entzivilisationsprozess der 1960 er Jahre hatte auf die Entscheidungen des Einzelnen ebenso Einfluss wie auf die Politik.
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