Gewalt
falschen Zahlen, fängt aber einen richtigen Aspekt der menschlichen Psychologie ein.
Wenn die Eskalation proportional zum bisherigen Engagement ist (und wenn ein konstanter Anteil der Soldaten, die aufs Schlachtfeld geschickt werden, dort umkommt), wachsen die Verluste mit zunehmender Kriegsdauer exponentiell an wie Zinseszins. Und wenn Kriege ein Zermürbungsspiel sind, ist ihre Dauer ebenfalls exponentiell verteilt. Erinnern wir uns noch einmal an das mathematische Gesetz, wonach eine Variable zu einer Potenzgesetz-Verteilung gehört, wenn es sich dabei um die Exponentialfunktion einer zweiten, exponentiell verteilten Variablen handelt. [555] Ich selbst habe die Vermutung, dass die Kombination aus Eskalation und Zermürbung die plausibelste Erklärung für die Potenzgesetz-Verteilung der Größenordnung von Kriegen darstellt.
Auch wenn wir also vielleicht nicht genau wissen, warum Kriege einer Potenzgesetz-Verteilung unterliegen, können wir aus den Eigenschaften dieser Verteilung – maßstabsfrei und mit dicken Schwänzen – ablesen, dass daran eine Reihe von Prozessen beteiligt ist, deren Größenordnung keine Rolle spielt. Bewaffnete Bündnisse können immer ein wenig größer werden, Kriege können ein wenig länger dauern, Verluste können ein wenig schwerer sein, die Wahrscheinlichkeit dafür bleibt dennoch immer gleich, unabhängig davon, wie groß, lang oder schwer sie am Anfang waren.
Damit liegt auch die nächste Frage nach der Statistik tödlicher Konflikte auf der Hand: Was kostet die meisten Menschenleben, die große Zahl kleiner Kriege oder wenige große? Hier liefert die Potenzgesetz-Verteilung selbst keine Antwort. Man kann sich einen Datenbestand vorstellen, in dem sich die Summe der Kriegsschäden bei Konflikten aller Größenordnungen auf die gleiche Zahl von Todesopfern beläuft: ein Krieg mit zehn Millionen Toten, zehn Kriege mit je einer Million Toten, 100 Kriege mit jeweils 100 000 Toten, bis hinunter zu zehn Millionen Morden mit je einem Opfer. In Wirklichkeit jedoch ist die Verteilung bei Exponenten, die größer sind als 1 (das heißt bei Kriegen) in Richtung des Schwanzes verschoben. Manchmal hört man, Potenzgesetz-Verteilungen mit Exponenten in diesem Bereich würden der 80 -zu- 20 -Regel unterliegen, die auch als Pareto-Prinzip bekannt ist: Beispielsweise verfügen 20 Prozent der Bevölkerung über 80 Prozent des Reichtums. Das Verhältnis liegt vielleicht nicht immer genau bei 20 : 80 , aber viele Potenzgesetz-Verteilungen sind tatsächlich in dieser Form einseitig. So entfallen beispielsweise auf die 20 Prozent der beliebtesten Webseiten ungefähr zwei Drittel aller Hits. [556]
Richardson addierte die Gesamtzahl der Todesopfer in sämtlichen tödlichen Konflikten aller Größenordnungen. Dann trug der Informatiker Brian Hayes die Zahlen in ein Histogramm ein:
Abbildung 5 – 11 :
Gesamtzahl der Todesopfer in Konflikten verschiedener Größenordnung
Die grauen Balken, die der Zahl der Opfer kleiner, schwer fassbarer Konflikte (zwischen drei und 3162 Tote) entsprechen, geben keine tatsächlichen Daten wieder: Die betreffenden Zahlen fallen in die Lücke zwischen Kriminalistik und Geschichtsforschung und wurden von den Quellen, die Richardson zu Rate zog, nicht genannt. Stattdessen zeigen sie hypothetische Zahlen, die Richardson durch Interpolation der bruchlosen Kurve zwischen Morden und kleineren Kriegen gewann. [557] Aber ob man sie nun einbezieht oder nicht, die Graphik hat in jedem Fall eine erstaunliche Form mit Spitzenwerten an den Enden und einem Tiefpunkt in der Mitte. Daraus können wir ablesen, dass die Formen der tödlichen Gewalt, die (zumindest zwischen 1820 und 1952 ) den größten Schaden anrichteten, Morde und Weltkriege waren; bei Konflikten aller anderen Arten kamen weitaus weniger Menschen ums Leben. Das Gleiche gilt auch für die seither verstrichenen 60 Jahre. In den Vereinigten Staaten starben 37 000 Soldaten im Koreakrieg und 58 000 in Vietnam; kein anderer Krieg kam diesen Zahlen auch nur nahe. Dagegen werden in dem Land
jedes Jahr
17 000 Menschen ermordet, was sich seit 1950 zu fast einer Million Toten summiert. [558] Auch in der Welt insgesamt ist die Zahl der Morde auch dann größer als die der Kriegstoten, wenn man indirekte Todesfälle durch Hunger und Krankheiten mit einbezieht. [559]
Richardson nahm auch Schätzungen für den Anteil der Todesfälle vor, die durch tödliche Konflikte aller Größenordnungen vom Mord bis zum
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