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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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Weltkrieg insgesamt verursacht wurden. Dabei gelangte er zu einem Wert von 1 , 6  Prozent. Er stellt dazu fest: »Dies ist weniger, als man aufgrund der großen Aufmerksamkeit, die Konflikte auf sich ziehen, vermutet hätte. Wer Spaß am Krieg hat, kann seinen Geschmack damit entschuldigen, dass Kriege immerhin weniger tödlich sind als Krankheiten.« [560] Auch dies stimmt mit Abstand bis heute. [561]
    Dass in den beiden Weltkriegen 77  Prozent aller Menschen ums Leben kamen, die in einem Zeitraum von 130  Jahren überhaupt in Kriegen starben, ist eine außergewöhnliche Entdeckung. Kriege unterliegen noch nicht einmal der 80 : 20 -Regel, die wir gewöhnlich bei Potenzgesetz-Verteilungen beobachten. Stattdessen gilt bei ihnen eine Regel von 80 : 2 . Fast 80  Prozent der Todesfälle wurden durch
zwei Prozent
der Kriege verursacht. [562] An diesem einseitigen Verhältnis können wir ablesen, dass man bei den weltweiten Bemühungen, kriegsbedingte Todesfälle zu verhindern, der Verhütung der größten Kriege alleroberste Priorität einräumen sollte.
    Das Verhältnis unterstreicht auch, dass es schwierig ist, unseren Wunsch nach einem zusammenhängenden historischen Ablauf mit der Statistik tödlicher Konflikte zu vereinbaren. Wenn wir das 20 . Jahrhundert erklären wollen, wird unser Wunsch nach einem plausiblen Handlungsbogen von zwei statistischen Illusionen verstärkt. Die eine ist unsere Tendenz, in zufällig verteilten Ereignissen sinnvolle Häufungen zu sehen. Eine zweite ist die auf Glockenkurven eingestellte Geisteshaltung, die Extremwerte astronomisch unwahrscheinlich erscheinen lässt: Wenn uns dann ein Extremereignis begegnet, glauben wir, dahinter müsse eine außergewöhnliche Planung stehen. Eine solche Einstellung erschwert die Anerkennung der Tatsache, dass die beiden schlimmsten Ereignisse der jüngeren Geschichte zwar unwahrscheinlich, aber nicht astronomisch unwahrscheinlich waren. Selbst wenn sie durch die politischen Spannungen ihrer Zeit wahrscheinlicher wurden, mussten die Kriege nicht ausbrechen. Und nachdem es geschehen war, bestand ständig die Wahrscheinlichkeit, dass sie eskalierten und immer größere Opferzahlen mit sich brachten, ganz gleich, wie tödlich sie ohnehin bereits waren. Die beiden Weltkriege waren in einem gewissen Sinn entsetzlich unglückliche Stichproben aus einer statistischen Verteilung, die sich über ein breites Spektrum von Zerstörungswirkungen erstreckt.

Die historische Entwicklung der Kriege zwischen Großmächten
    Richardson gelangte zu zwei allgemeinen Schlussfolgerungen über die statistischen Eigenschaften von Kriegen: Ihre Zeitpunkte werden vom Zufall bestimmt, und ihre Größenordnung verteilt sich nach einem Potenzgesetz. Er konnte aber nicht viel darüber sagen, wie die beiden entscheidenden Parameter – die Wahrscheinlichkeit von Kriegen und der Umfang des von ihnen verursachten Schadens – sich im Laufe der Zeit verändern. Seine Vermutung, dass Kriege weniger häufig, dafür aber tödlicher werden, beschränkte sich auf den Zeitraum zwischen 1820 und 1950 ; außerdem war sie durch die lückenhafte Liste der Kriege in seinem Datenbestand eingeschränkt. Wie viel mehr wissen wir heute über die langfristige Entwicklung der Kriege?
    Eine gute Datensammlung aller Kriege, die seit Anbeginn der Geschichtsschreibung auf der ganzen Welt stattgefunden haben, gibt es nicht, und selbst wenn es sie gäbe, wüssten wir nicht, wie wir sie interpretieren sollen. Die Gesellschaften haben im Laufe der Jahrhunderte so grundlegende, ungleichmäßige Veränderungen durchgemacht, dass man mit einer einzigen Opferzahl, die sich auf die ganze Welt bezieht, zu viele unterschiedlich geartete Gesellschaften summarisch betrachten würde. Der Politikwissenschaftler Jack Levy hat allerdings einen Datenbestand zusammengestellt, der uns einen klaren Blick auf die Entwicklung der Kriege in einem besonders wichtigen Ausschnitt von Raum und Zeit ermöglicht.
    Der fragliche Zeitraum begann Ende des 15 . Jahrhunderts, als Schießpulver, Seefahrt und Druckerpresse angeblich den Beginn der Neuzeit kennzeichneten (wobei ich hier eine der vielen Definitionen für
Neuzeit
verwende). Gleichzeitig ist dies auch die Zeit, in der sich aus dem mittelalterlichen Flickenteppich der Baronien und Herzogtümer erstmals souveräne Staaten entwickelten.
    Die Länder, auf die Levy sich konzentrierte, gehören zum
System der Großmächte
: zu jener Handvoll Staaten, die in einer bestimmten Epoche

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