Gewalt
verteilen. Dass wir so etwas tatsächlich beobachten, können wir nicht beweisen, weil Häufigkeit und Umfang der Kriege in der Graphik zusammengefasst werden. Levy äußert aber die Vermutung, man könne die reine Zerstörungswirkung abtrennen, wenn man ein Maß namens »Konzentration« verwendet. Damit meint er den Schaden, den ein Konflikt je Staat und Jahr verursacht. Dieses Maß ist in Abbildung 5 - 16 aufgetragen.
Abbildung 5 – 16 :
Konzentration von Todesfällen in Kriegen, in die Großmächte verwickelt waren, von 1500 bis 2000
In diesem Diagramm ist die Zunahme der Zerstörungswirkung von Kriegen zwischen Großmächten bis hin zum Zweiten Weltkrieg deutlicher zu erkennen, denn hier wird sie nicht durch die geringe Dichte solcher Kriege im späten 19 . Jahrhundert verschleiert. In der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts fällt auf, dass sich die über Kreuz verlaufenden Trends der 450 vorangegangenen Jahre plötzlich umkehren. Im späten 20 . Jahrhundert ging auf einzigartige Weise sowohl die Zahl der Kriege zwischen Großmächten als auch die Zerstörungswirkung jedes einzelnen Konfliktes zurück – zwei Abwärtstrends, in denen sich die Abneigung gegen Kriege während des Langen Friedens widerspiegelt. Bevor wir uns nun von der Statistik den tatsächlichen Abläufen zuwenden, um die Ereignisse hinter diesen Trends zu verstehen, wollen wir uns vergewissern, dass man sie auch bei einer umfassenderen Betrachtung der Entwicklung von Kriegen erkennt.
Die Zeitschiene der Kriege in Europa
Kriege, an denen Großmächte beteiligt sind, stellen eine umgrenzte, aber folgerichtige Arena dar, in der wir nach historischen Trends suchen können. Eine andere derartige Arena ist Europa. Es ist nicht nur der Kontinent, auf dem die umfangreichsten Daten über kriegsbedingte Todesfälle zur Verfügung stehen, sondern es hatte auch einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Welt als Ganzes. Während des vergangenen halben Jahrtausends gehörten große Teile der Welt zu europäischen Kolonialreichen, und die restlichen Teile führten mit diesen Reichen Krieg. Außerdem hatten Trends im Hinblick auf Krieg und Frieden, aber auch die Entwicklung anderer Tätigkeitsbereiche wie Technologie, Mode und Ideen ihren Ursprung häufig in Europa, bevor sie sich auf die übrige Welt ausbreiteten.
Die umfangreichen historischen Erkenntnisse über Europa verschaffen uns auch eine Gelegenheit, unseren Blickwinkel für organisierte Konflikte zu erweitern: Wir betrachten jetzt nicht nur Kriege, an denen Großmächte beteiligt waren, sondern auch solche zwischen weniger mächtigen Nationen, Konflikte unterhalb der Grenze von 1000 Todesopfern, Bürgerkriege, Völkermorde sowie den Tod von Zivilisten durch Hungersnot und Krankheit. Was für ein Bild können wir zeichnen, wenn wir diese anderen Formen der Gewalt zusammennehmen – den langen, dünnen Stachel der kleinen Konflikte ebenso wie den langen Schwanz der großen?
Der Politikwissenschaftler Peter Brecke stellt derzeit das umfassendste Verzeichnis tödlicher Konflikte zusammen, ein Werk, das er als Conflict Catalog bezeichnet. [570] Er will darin alle Informationsfetzen über bewaffnete Konflikte erfassen, die in der gesamten Geschichtsschreibung seit 1400 zu finden sind. Zu Beginn stellte er dazu die Listen der Kriege zusammen, die Richardson, Wright, Sorokin, Eckhardt, das Correlates of War Project, der Historiker Evan Luard und der Politikwissenschaftler Kalevi Holsti zusammengetragen hatten. Die meisten dieser Autoren hatten für die Aufnahme eines Konflikts eine hohe Schwelle angesetzt und juristische Kriterien für die Definition eines Staats angelegt. Brecke lockerte die Kriterien und erfasste alle belegten Konflikte bis hinab zu einer Untergrenze von 32 Toten in einem Jahr (Größenordnung 1 , 5 auf der Richardson-Skala), an denen irgendein politisches Gebilde beteiligt war, das eine wirksame Herrschaft über ein Territorium ausübte. Dann ging er in die Bibliothek und durchforstete historische Werke und Atlanten, darunter auch viele, die in anderen Staaten und Sprachen erschienen waren. Wie man es aufgrund der Potenzgesetz-Verteilung erwartet, kamen durch diese Lockerung der Kriterien nicht nur wenige Fälle an den Rändern hinzu, sondern eine große Zahl von ihnen: Brecke entdeckte mindestens dreimal so viele Konflikte, wie bisher in allen Datenbeständen zusammen verzeichnet waren. Sein Conflict Catalog enthält bisher 4560 Konflikte, die sich zwischen
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