Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
da zu sein. Wenn das jedoch nicht geschieht, haben wir noch ein paar andere Möglichkeiten.
Um Empathie zu geben, brauchen wir selbst Empathie.
Wir können z.B. auch schreien – gewaltfrei. Ich erinnere mich an eine dreitägige Mediation zwischen zwei Gangs, die sich gegenseitig ausrotteten. Eine Gang nannte sich Schwarze Ägypter, die andere Polizeidienststelle Ost-St. Louis. Es stand zwei zu eins – insgesamt drei Tote in einem Monat. Nachdem ich drei Tage voller Anspannung versucht hatte, die beiden Gruppen zusammenzubringen, damit sie einander hören und ihre Konflikte lösen konnten, fuhr ich nach Hause und dachte, daß ich in meinem ganzen Leben nie mehr mitten in einem Konflikt stehen wollte.
Das erste was ich sah, als ich durch die Tür ins Haus kam, waren meine Kinder, die sich stritten. Ich hatte keine Energie mehr, um ihnen Empathie zu geben, also schrie ich gewaltfrei: „Hey, ich habe gerade viel Schmerz in mir! Ich will mich jetzt überhaupt nicht mit eurem Streit beschäftigen! Ich will einfach nur ein bißchen Ruhe und Frieden!“ Mein älterer Sohn, der damals neun war, hielt inne, schaute mich an und fragte: „Möchtest du darüber sprechen?“ Wenn es uns gelingt, unseren Schmerz, so wie er ist, ohne Schuldzuweisung auszudrücken, dann ist es meiner Erfahrung nach sogar Leuten unter Streß manchmal möglich, unser Bedürfnis zu hören. Dabei brülle ich natürlich nicht: „Was ist los mit euch? Könnt ihr euch nicht besser benehmen? Ich habe gerade einen harten Tag hinter mir!“ oder deute irgendwie an, daß mit ihrem Verhalten etwas nicht stimmt. Ich schreie gewaltfrei, indem ich die Aufmerksamkeit auf meine eigenen verzweifelten Bedürfnisse und momentanen Schmerzen richte.
Wenn jedoch unser Gegenüber in dem Augenblick ebenfalls eine derart hohe Gefühlsintensität durchlebt, daß er uns weder hören noch von uns lassen kann, dann besteht unsere dritte Zuflucht darin, rein körperlich aus der Situation herauszugehen. Wir geben uns dann selbst eine Auszeit und die Gelegenheit, zu der Empathie zu kommen, die wir brauchen, um in einem anderen seelischen und geistigen Zustand wieder zurückzukehren.
Zusammenfassung
Empathie ist ein respektvolles Verstehen der Erfahrungen anderer Menschen. Anstatt Empathie anzubieten, haben wir oft einen starken Drang, Ratschläge zu geben oder zu beschwichtigen und unsere eigene Position oder unsere eigenen Gefühle darzulegen. Empathie hingegen fordert uns auf, unseren Kopf leer zu machen und anderen mit unserem ganzen Wesen zuzuhören.
In der GFK spielt es keine Rolle, mit welchen Worten sich andere Menschen ausdrücken, wir hören einfach auf ihre Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten. Dann möchten wir das Gehörte vielleicht wiedergeben und mit unseren eigenen Worten sagen, was wir verstanden haben. Wir bleiben in der Einfühlung und geben anderen die Gelegenheit, all das, was in ihnen vorgeht, vollständig zum Ausdruck zu bringen, bevor wir uns Lösungen oder Bitten um Unterstützung zuwenden.
Um Empathie geben zu können, brauchen wir selbst Empathie. Wenn wir abwehrende Gefühle in uns spüren und merken, daß wir keine Einfühlung geben können, dann können wir a) innehalten, atmen, uns selbst Empathie geben, b) gewaltfrei schreien oder c) eine Auszeit nehmen.
Gewaltfreie Kommunikation in der Praxis: Eine Frau geht in intensiven Kontakt mit ihrem sterbenden Mann
Bei einem Patienten wurde gerade ein fortgeschrittenes Stadium von Lungenkrebs diagnostiziert. Die folgende Szene bei ihm zu Hause, mit einer Krankenschwester, die einen Besuch macht, und mit seiner Frau, stellt die letzte Gelegenheit dar, mit seiner Frau im Gefühlskontakt zu sein und über sein Sterben zu sprechen, bevor er ins Krankenhaus eingeliefert wird. Die Frau fängt das Gespräch an und beklagt sich bei der Krankenschwester über die Physiotherapeutin, die zum gesundheitlichen Betreuungsteam gehörte, das ihren Mann zu Hause gepflegt hat.
Frau: Sie ist eine schlechte Therapeutin.
Schwester: (Hört empathisch auf das, was die Frau fühlt und braucht.). Sind Sie ärgerlich und möchten gerne eine andere Qualität in der Pflege?
Frau: Sie macht gar nichts. Er sollte aufhören herumzulaufen, als sein Puls hochging.
Schwester: (Hört weiter auf die Gefühle und Wünsche der Frau.) Möchten Sie, daß es Ihrem Mann bessergeht und haben deshalb Angst, daß die Physiotherapeutin ihn nicht genug herausfordert, so daß er nicht kräftiger werden kann?
Frau: (Fängt an zu
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