Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Unterstützung mit meiner Mutter. Trotz aller Einsichten, die ich in das Phänomen ,Aber‘ gewonnen habe – weißt du, was dann passiert ist? Am nächsten Abend, beim Essen, als ich meiner Mutter erzählte, was mir mit dem Mann passiert war, sagte sie: ,Wenn du in diesem Job bleibst, dann kriegen dein Vater und ich noch einen Herzinfarkt. Du mußt dir einfach eine andere Arbeit suchen!‘ Rate mal, was ich daraufhin zu ihr sagte? , Aber Mutter, das ist mein Leben!‘“
Es kann schwierig sein, den Menschen, die uns am nächsten stehen, Empathie zu geben.
Mir hätte selbst kein passenderes Beispiel dafür einfallen können, wie schwierig es sein kann, auf seine eigenen Familienangehörigen empathisch zu reagieren!
Ein „Nein“ empathisch hören
Empathisch auf ein „Nein“ zu reagieren schützt uns davor, es persönlich zu nehmen.
Aufgrund unserer Tendenz, in ein „Nein“ oder ein „Ich-möchte-nicht ...“ eine Zurückweisung hineinzuinterpretieren, ist es gerade bei diesen Botschaften sehr wichtig für uns, die Fähigkeit für eine empathische Reaktion zu entwickeln. Nehmen wir solche Äußerungen persönlich, dann fühlen wir uns vielleicht verletzt, ohne zu verstehen, was im anderen tatsächlich vorgeht. Wenn wir jedoch das Licht unseres Bewußtseins auf die Gefühle und Bedürfnisse hinter einem „Nein“ richten, dann wird uns das Bedürfnis klar, das den anderen davon abhält, unseren Wünschen entsprechend zu reagieren.
Während einer Workshop-Pause fragte ich einmal eine Frau, ob sie nicht mit mir und anderen Teilnehmern in der Nähe ein Eis essen gehen wollte. „Nein!“ erwiderte sie schroff. Der Ton, in dem sie das sagte, hätte mich beinahe ihre Antwort als Zurückweisung interpretieren lassen, aber mir fiel noch ein, mich auf ihre Gefühle und Bedürfnisse, die sie vielleicht durch ihr „Nein“ ausdrückte, einzustimmen. „Ich habe den Eindruck, daß du ärgerlich bist“, sagte ich. „Ist das richtig?“ „Nein“, antwortete sie, „es ist nur, daß ich nicht jedesmal korrigiert werden möchte, wenn ich meinen Mund aufmache.“
Jetzt spürte ich, daß sie eher Angst hatte als Wut. Ich überprüfte das durch die Frage: „Hast du Angst und möchtest dich vor einer Situation schützen, in der du vielleicht für deine Art zu kommunizieren verurteilt wirst?“ „Ja“, bestätigte sie, „ich kann mir vorstellen, wie ich in der Eisdiele sitze und du verfolgst genau, was ich sage.“
Da merkte ich, daß meine Art, im Workshop Feedback zu geben, für sie beängstigend war. Meine Empathie für ihre Äußerung hatte für mich den Stachel aus ihrem „Nein“ genommen: Jetzt hörte ich ihren Wunsch, kein solches Feedback in der Öffentlichkeit zu bekommen. Ich versicherte ihr, daß ich ihre Kommunikation in der Öffentlichkeit nicht bewerten würde, und besprach dann mit ihr Möglichkeiten, Feedback zu geben, mit dem sie sich sicher und wohlfühlen konnte. Ja, und dann schloß sie sich der Gruppe zum Eisessen an.
Mit Empathie ein leerlaufendes Gespräch wiederbeleben
Wir haben alle schon mal mitten in einem leerlaufenden Gespräch gesteckt. Vielleicht hören wir auf einer Veranstaltung gesprochene Worte, ohne eine Verbindung mit dem Sprecher zu empfinden. Oder wir hören einer „Quasselstrippe“ zu – so nennt mein Freund Kelly Bryson Leute, die in anderen die Befürchtung eines Endlosmonologs auslösen. Die Lebendigkeit schwindet dann aus einem Gespräch, wenn wir die Verbindung mit den Gefühlen und Bedürfnissen verlieren, die zu den Worten des Sprechers gehören, und auch mit den Bitten, die zu den Bedürfnissen gehören. Das passiert, wenn Leute reden, ohne sich bewußt zu machen, was sie fühlen, brauchen und erbitten wollen. Anstatt mitten in einem Austausch lebendiger Energie mit anderen Leuten zu sein, sehen wir uns zu Abladeplätzen für ihre Worte mutieren.
Wie und wann unterbrechen wir ein totgelaufenes Gespräch, um wieder Leben hineinzubringen? Ich schlage vor, daß die beste Zeit für eine Unterbrechung dann gekommen ist, wenn wir ein Wort mehr gehört haben, als wir hören wollen. Je länger wir warten, desto schwerer wird es, freundlich zu bleiben, wenn wir den anderen stoppen. Wir unterbrechen nicht mit der Absicht, endlich selbst zu Wort zu kommen, sondern um den Sprecher darin zu unterstützen, mit der lebendigen Energie hinter seinen gesprochenen Worten in Kontakt zu kommen.
Ein Gespräch wieder zum Leben erwecken: mit Empathie unterbrechen.
Das tun wir
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