Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Gefühle so ausgedrückt hatte wie kurz zuvor. Aber statt mit „ja“ antwortete der Geschäftsführer mit: „Nein, gar nicht. Ich habe nur gerade daran gedacht, wie sehr sich meine Frau wünscht, daß ich weinen könnte.“ Er öffnete sich weiter und sprach davon, daß seine Frau, die sich gerade von ihm scheiden ließ, immer wieder darüber geklagt hatte, daß es sich mit ihm lebte wie mit einem Felsblock.
Stimmen Sie sich auf ein Schweigen ein, indem Sie auf die Gefühle und Bedürfnisse dahinter hören.
Während meiner Arbeit als Psychotherapeut kamen einmal die Eltern einer zwanzigjährigen Frau zu mir, die sich in psychiatrischer Behandlung befand. Sie war mehrere Monate lang mit Medikamenten, klinischen Aufenthalten und Schocktherapie behandelt worden. Drei Monate bevor ihre Eltern mit mir Kontakt aufnahmen, war sie völlig verstummt. Als sie in meine Praxis gebracht wurde, brauchte sie Hilfe, denn von alleine bewegte sie sich überhaupt nicht mehr.
In der Praxis krümmte sie sich zitternd in ihrem Sessel zusammen, die Augen auf den Boden gerichtet. Ich versuchte mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen hinter ihrem Ausdruck des Schweigens einfühlsamen Kontakt aufzunehmen und sagte: „Ich spüre, daß Sie Angst haben und gerne sicher wären, daß es ungefährlich ist zu sprechen. Stimmt das?“
Sie zeigte keine Reaktion, und so drückte ich mein eigenes Gefühl aus: „Ich mache mir große Sorgen um Sie und möchte Sie bitten, mir zu sagen, ob es etwas gibt, das ich tun kann, damit Sie sich sicherer fühlen.“ Immer noch keine Antwort. Die nächsten vierzig Minuten machte ich weiter mit der Wiedergabe ihrer Gefühle und Bedürfnisse oder sprach meine eigenen aus. Es gab keine sichtbare Resonanz, auch nicht das kleinste Anzeichen, daß sie meine Versuche, mit ihr zu kommunizieren, überhaupt wahrnahm. Schließlich brachte ich zum Ausdruck, daß ich müde war. Ich bat sie, am nächsten Tag wiederzukommen.
Die nächsten Tage glichen dem ersten Tag. Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit weiterhin auf ihre Gefühle und Bedürfnisse, gab manchmal mit Worten wieder, was ich verstanden hatte, und manchmal auch ohne Worte. Von Zeit zu Zeit äußerte ich, was in mir vorging. Sie saß zitternd auf ihrem Stuhl und sagte nichts.
Am vierten Tag, als sie immer noch nicht reagierte, lehnte ich mich zu ihr herüber und nahm ihre Hand. Da ich nicht wußte, ob meine Worte ihr meine Sorge vermittelt hatten, hoffte ich, daß es durch den körperlichen Kontakt besser gelingen würde. Bei der ersten Berührung spannten sich ihre Muskeln an, und sie krümmte sich noch mehr in ihrem Sessel zusammen. Ich wollte gerade ihre Hand wieder loslassen, als ich ein leichtes Nachgeben spürte, und so behielt ich ihre Hand; kurz darauf merkte ich, wie sie sich langsam entspannte. Ich hielt ihre Hand eine Weile und sprach dabei mit ihr so wie an den vorangegangenen Tagen. Sie sagte immer noch nichts.
Als sie am nächsten Tag kam, schien sie mir noch angespannter zu sein als vorher, aber etwas war anders: Sie streckte mir ihre Faust entgegen und wandte ihr Gesicht gleichzeitig ab. Zuerst war ich von der Geste verwirrt, merkte aber dann, daß sie etwas in der Hand hatte, das sie mir geben wollte. Ich nahm ihre Faust in die Hand und bog ihre Finger auf. In ihrer Hand war ein zusammengeknüllter Zettel mit folgenden Worten: „Bitte helfen Sie mir auszusprechen, was in mir vorgeht.“
Ich war sehr glücklich über dieses Zeichen, daß sie mit mir kommunizieren wollte. Nach einer weiteren Stunde der Ermutigung sagte sie schließlich ihren ersten Satz, langsam und voller Angst. Als ich wiedergab, was ich sie hatte sagen hören, schien sie erleichtert zu sein und sprach dann weiter, langsam und ängstlich. Ein Jahr später schickte sie mir eine Kopie ihrer Tagebucheinträge:
„Ich kam aus dem Krankenhaus raus, weg von der Schocktherapie und den starken Medikamenten. Das war ungefähr im April. Die drei Monate davor sind in meinem Kopf völlig ausgelöscht, genauso wie die ganzen dreieinhalb Jahre vor dem Tag im April.
Meine Eltern sagen, daß nach der Klinik zu Hause eine Zeit anfing, in der ich nichts aß, nicht sprach und immer nur im Bett bleiben wollte. Dann kam ich zu Dr. Rosenberg in Behandlung. Die nächsten zwei oder drei Monate kann ich mich an kaum etwas erinnern, außer daß ich bei Dr. Rosenberg in der Praxis war und mit ihm sprach.
Von der ersten Sitzung an, die ich bei ihm hatte, fing ich an ,aufzuwachen‘. Ich fing an,
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