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Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)

Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)

Titel: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marshall B. Rosenberg
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nach. Am Ende machten sie eine Gasse frei, und ich konnte zu meinem Auto gehen.“
    Zum Schluß möchte ich noch aufzeigen, wie eine junge Frau Empathie einsetzte, um während ihrer Nachtschicht in einem Drogenentgiftungszentrum in Toronto Gewalt zu verhindern. Die junge Frau berichtete von ihrem Erlebnis während ihres zweiten GFK-Workshops. Einige Wochen nach ihrem ersten Training marschierte eines Abends gegen 23 Uhr ein Mann von der Straße herein. Er stand offensichtlich unter Drogen und verlangte ein Zimmer. Die junge Frau fing an ihm zu erklären, daß für diese Nacht alle Zimmer belegt seien. Sie wollte dem Mann gerade die Adresse eines anderen Zentrums geben, als er sie zu Boden schleuderte. „Als nächstes weiß ich, daß er auf meinem Brustkorb saß, mir ein Messer an den Hals hielt und laut rief: ,Du Nutte, lüg mich nicht an! Natürlich hast du noch ein Zimmer!‘“
    Im weiteren Verlauf konnte sie ihr Training umsetzen, indem sie auf seine Gefühle und Bedürfnisse hörte.
    „Unter diesen Bedingungen hast du daran gedacht?“ fragte ich beeindruckt.
    „Was hatte ich für eine Wahl? Verzweiflung macht aus uns allen manchmal gute Kommunikatoren! Weißt du, Marshall“, fügte sie hinzu, „der Witz, den du im Workshop erzählt hast, hat mir echt geholfen. Ich glaube sogar, daß er mir das Leben gerettet hat.“ „Welcher Witz?“ „Erinnerst du dich, wie du gesagt hast, daß man einem wütenden Menschen niemals ein ,Aber‘ ins Gesicht sagen soll? Ich war schon kurz davor, mit ihm zu streiten; ich wollte gerade sagen: ,Aber ich habe kein Zimmer!‘, als mir dein Witz einfiel. Der war mir wirklich im Gedächtnis geblieben, weil ich erst in der Woche zuvor einen Streit mit meiner Mutter hatte, und da sagte sie zu mir: ,Ich könnte dich umbringen, wenn du auf alles, was ich sage, mit »aber« reagierst!‘ Stell dir vor, wenn schon meine eigene Mutter wütend genug war, mich umzubringen, weil ich dieses Wort gesagt hatte, was hätte dieser Mann dann gemacht? Hätte ich gesagt: ,Aber ich habe kein Zimmer!‘, als er mich anschrie, dann hätte er ohne Zweifel meinen Hals aufgeschlitzt.
    Also habe ich statt dessen tief durchgeatmet und gesagt: ,Das klingt so, als wären Sie sehr wütend und wollen, daß man Ihnen ein Zimmer gibt.‘ Er brüllte zurück: ,Ich bin vielleicht drogenabhängig, aber bei Gott, ich verdiene Respekt. Ich habe es satt, daß ich von niemandem Respekt bekomme. Von meinen Eltern bekomme ich keinen Respekt. Ich werde mir Respekt verschaffen!‘ Ich konzentrierte mich einfach auf seine Gefühle und Bedürfnisse und sagte:
    ,Hängt es Ihnen zum Hals raus, daß Sie nicht den Respekt bekommen, den Sie möchten?‘“
    Fühlen Sie sich lieber in den anderen ein, statt Ihr „Aber“ einem wütenden Menschen ins Gesicht zu sagen.
    „Wie lange ging das so?“, fragte ich. „Noch so etwa fünfunddreißig Minuten“, antwortete sie. „Du mußt schreckliche Angst gehabt haben.“ „Nein, nicht nach den ersten Sätzen, weil mir dann etwas anderes deutlich wurde, was wir hier gelernt haben. Als ich mich darauf konzentrierte, seine Gefühle und Bedürfnisse zu hören, betrachtete ich ihn nicht mehr als Monster. Ich konnte sehen – wie du gesagt hast –, daß Menschen, die mir als Monster erscheinen, einfach menschliche Wesen sind, deren Sprache und Verhalten uns manchmal davon abhalten, ihre Menschlichkeit wahrzunehmen. Je besser es mir gelang, meine Aufmerksamkeit auf seine Gefühle und Bedürfnisse zu fokussieren, desto mehr sah ich in ihm einen Menschen voller Verzweiflung, dessen Bedürfnisse sich nicht erfüllten. Ich wurde zuversichtlicher, daß er mir nichts tun würde, wenn ich mit meiner Aufmerksamkeit bei ihm blieb. Nachdem er die Empathie, die er brauchte, bekommen hatte, stand er von mir auf, steckte das Messer weg, und ich half ihm, in einem anderen Zentrum ein Zimmer zu finden.“
    Wenn wir auf ihre Gefühle und Bedürfnisse hören, betrachten wir andere Menschen nicht mehr als Monster.
    Ich freute mich sehr, daß es ihr gelungen war, in so einer extremen Situation einfühlsam zu reagieren und fragte sie neugierig: „Was machst du dann noch hier? Es klingt so, als hättest du die GFK gemeistert und solltest hinausgehen und anderen beibringen, was du gelernt hast.“ „Jetzt brauche ich deine Unterstützung in einem wirklich schweren Fall“, sagte sie. „Ich scheue mich fast ein bißchen, das zu fragen, aber: Was könnte noch schwerer sein?“ „Jetzt brauche ich deine

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