Gewitter der Liebe
Traum hätte ich damals damit gerechnet, jemals ein anderes Leben führen zu dürfen.«
»Aber einen Traum hattest du doch bestimmt? Jedes Mädchen träumt von einer besseren Zukunft.«
Mit keckem Augenaufschlag trank Julia einen Schluck Kaffee, dann erwiderte sie: »O ja, ich träumte davon, eines Tages einen braven Mann kennenzulernen, ihn zu heiraten und mit ihm Kinder zu haben. Inzwischen hat sich dieser Traum bereits für mich erfüllt, auch wenn Ross und ich noch nicht verheiratet sind und keine Kinder haben. Aber wir können bald in unser neues Haus ziehen, und dann werden die Hochzeitsglocken läuten.«
Nathan ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihn Julias Glück schmerzte. Er gönnte ihr alles Glück der Erde, weil er sie liebte, aber dass sie einem anderen Mann gehörte, konnte ihn freilich nicht erfreuen.
»Ich war neulich draußen in der neuen Wohnsiedlung und habe auch euer Haus gesehen. Ross hat wirklich keine Kosten gescheut.«
Stolz reckte Julia das Kinn. »Er sagt, für mich ist ihm nichts zu teuer. Ist das nicht lieb von ihm?«
»Ja, sehr lieb«, gab er knapp zurück, dachte jedoch bei sich, dass er selbst ein noch viel schöneres Haus für Julia gebaut hätte, wenn sie seine Zukünftige wäre.
Plötzlich räusperte sich Lilly und stand auf. »Ich muss jetzt leider gehen. Mein Chef hat mich gefragt, ob ich nicht hin und wieder für die Gäste singen könnte, und ich möchte nachher mit dem Klavierspieler einige gängige Stücke einstudieren.«
»Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.« Auch Julia hatte sich erhoben. »Du hast eine sehr schöne Stimme, deine Gesangseinlagen werden sicherlich ein großer Erfolg. Ich muss auch gehen«, wandte sie sich mit einem entschuldigendem Lächeln an Nathan. »Bis heute Abend.«
Er ließ es sich nicht nehmen, seine charmanten Besucherinnen zur Ladentür zu bringen. Mittlerweile hatte sich der Verkaufsraum wieder gefüllt; der Kleidung nach zu urteilen, waren es ein halbes Dutzend Neuankömmlinge, die sich von Virgil beraten ließen. Die meisten blickten kurz auf, als die Frauen das Geschäft durchquerten, richteten dann ihren Blick jedoch sofort wieder auf die Sichertröge und Schaufeln, die Virgil ihnen zeigte.
Kaum hatte sich die Tür hinten ihnen geschlossen, sagte Julia: »Ich lasse dich erst gehen, wenn ich weiß, was vorhin geschehen ist.«
Lilly tat ahnungslos.
»Keine Ahnung, wovon du redest.« Nervös rückte sie ihren Hut zurecht. »Du solltest dich sputen, damit Mrs Garland nicht zu lange auf dich warten muss.«
»Sie wird mir verzeihen, wenn ich mich etwas verspäte.« Julia nahm Lillys eiskalte Hand. »Irgendetwas ist geschehen, als wir vorhin zu Nathans Laden gingen.«
Wiederholt versuchte Lilly abzuwiegeln, doch als sie einsah, dass ihre Freundin nicht lockerlassen würde, bis sie die Wahrheit erfahren hatte, holte sie tief Luft und fragte mit gesenkter Stimme: »Erinnerst du dich an die Droschke, die vorhin an uns vorbeigefahren ist?«
»Auf der Straße waren mehrere Kutschen«, gab Julia ratlos zurück. »Welche meinst du?«
»Die geschlossene Droschke, die Richtung Hafen fuhr.« Lilly schluckte. »Ich glaube, darin hat Bill gesessen.«
»Wer ist Bill?«
Lillys Augenlider flatterten. »Der Mann, dem ich in New York den Spielgewinn abgenommen habe.«
Erschrocken schnappte Julia nach Luft, fing sich jedoch gleich darauf wieder und sagte: »Wahrscheinlich hatte dieser Mann, den du in der Kutsche gesehen hast, nur Ähnlichkeit mit ihm. Wieso sollte er sich zufällig auch in San Francisco aufhalten?«
»Warum nicht?« Mit einer fahrigen Handbewegung strich sich Lilly über das Seidenband ihres Hutes und befeuchtete mit der Zunge ihre trockenen Lippen. »Wenn er mich erkennt und wegen Diebstahl anzeigt, bin ich erledigt. Er wird mich an meinem leuchtenden Haar erkennen und sich erinnern. Dass ich mich letztes Jahr noch in New York aufhielt, kann ich schließlich nicht verleugnen.«
Julia fasste ihre Freundin am Ellenbogen und zog sie zur Seite, weil sie den ganzen Gehweg blockierten. »Jetzt beruhige dich erst einmal. Selbst, wenn es sich um diesen Bill handelt, ist es möglich, dass er nur auf der Durchreise ist, nicht wahr?«
»Und wenn er hier lebt? Im Red Carpet wird er mich finden, denn Männer wie er spielen und trinken leidenschaftlich gern.«
Nachdenklich biss sich Julia auf die Unterlippe; sie fühlte sich schuldig, denn erst das Geld dieses Mannes hatte auch ihr die Reise nach Kalifornien ermöglicht.
»Was soll ich
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