Gewitter über Emilienlund: Mittsommerglück (German Edition)
aufgestanden.
6. KAPITEL
“U nd? Habt ihr euch gut amüsiert, Kinder?” Henrik Ljundberg, der für die Rückfahrt das Steuer übernommen hatte, schaute abwechselnd Annie und Grey an, wobei er beunruhigend lange den Blick von der Straße nahm.
Annie stöhnte lautlos. Amüsiert? Nun, man konnte es so bezeichnen. Wenigstens bis zu dem Moment, in dem Greys Verhalten ihr gegenüber sich schlagartig geändert hatte. In der einen Sekunde hatten sie noch innig miteinander getanzt. In der nächsten hatte er sich wieder kühl und unnahbar gegeben. Und Annie wusste nicht, was diese Veränderung hervorgerufen haben könnte.
Es war so schlimm gewesen, dass Annie dem Himmel gedankt hatte, als Henrik schließlich zu ihnen gestoßen war. Das eisige Schweigen, das zwischen Grey und ihr geherrscht hatte, war kaum zu ertragen gewesen!
“Es war … nett”, sagte sie, nachdem Grey sich nicht dazu herabließ, die Frage seines Freundes zu beantworten. Nach wie vor blickte er teilnahmslos aus dem Fenster und schien völlig abwesend zu sein. Über was er wohl nachdachte? Hatte sie vielleicht etwas falsch gemacht?
Über genau diese Frage zerbrach sie sich nun schon seit einer Weile den Kopf. Dummerweise wollte ihr nur eine einzige Erklärung für sein sonderbares Verhalten einfallen – und die behagte ihr nicht sonderlich. Glaubte Grey etwa, dass sie sich an ihn hatte heranmachen wollen? War sie ihm, ohne es zu beabsichtigen, zu nahe getreten?
Als sie Emilienlund erreichten, stieg Grey wortlos aus und eilte die Stufen zur Eingangstür hinauf. Annie bemerkte, wie Henrik mit bekümmertem Gesichtsausdruck den Kopf schüttelte, doch als er sich ihr zuwandte, lächelte er bereits wieder.
“Ich vermute, Grey war nicht gerade ein besonders unterhaltsamer Begleiter?”
Annie zögerte. Grey war immerhin ihr Boss. Hinter seinem Rücken über ihn zu reden, erschien ihr nicht korrekt. Deshalb sagte sie nur ausweichend: “Er war ein perfekter Gentleman.”
Für einen Moment musterte der große Schwede sie schweigend, dann brach er in schallendes Gelächter aus. “Ja, das glaube ich gern”, schnaubte er und schlug sich mit den riesigen Händen auf die Oberschenkel. “Grundgütiger, Sie sind tatsächlich ein Beispiel an Diplomatie, Annie. Jede andere hätte diese hervorragende Chance sicherlich genutzt, um ihren Frust loszuwerden. Lassen Sie mich raten: Grey hat Sie den ganzen Abend über links liegen lassen und kaum mehr als ein paar Worte mit Ihnen gewechselt.”
Heftig schüttelte Annie den Kopf. “Nein, so war es nicht. Eigentlich habe ich mich sehr gut amüsiert. Wir haben sogar getanzt, bis …” Sie verschluckte den Rest des Satzes, als ihr klar wurde, dass sie drauf und dran war, ihre guten Vorsätze zu vergessen.
Henrik Ljundberg jedoch dachte gar nicht daran, sie so leicht davonkommen zu lassen. Er lachte nun nicht mehr. “Bis? Hören Sie, vermutlich finden Sie, dass mich das alles nicht das Geringste angeht, und damit haben Sie wahrscheinlich sogar recht. Aber ich mag Sie, Annie. Ich möchte Ihnen gerne helfen.” Er nickte ernsthaft. “Ihnen beiden.”
“Ein ‘uns beide’ gibt es nicht”, erwiderte Annie steif. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, in welche Richtung dieses Gespräch sich entwickelte. “Greyson O’Brannagh ist mein Arbeitgeber. Nicht mehr und nicht weniger. Und jetzt würde ich mich gerne zurückziehen, wenn Sie nichts dagegen haben. Gute Nacht.”
Sie wandte sich ab, um zu gehen, doch der Schwede stellte sich ihr in den Weg. Ein gutmütiges, halb spöttisches, halb entschuldigendes Lächeln umspielte seine Lippen. “Es tut mir leid, wenn ich wieder einmal übers Ziel hinausgeschossen bin. Das scheint so etwas wie ein Charakterfehler von mir zu sein. Ich wollte Ihnen wirklich keinesfalls zu nahe treten, Annie, das müssen Sie mir glauben.”
Selbst wenn sie es gewollt hätte, Annie konnte ihm einfach nicht böse sein. Vermutlich meinte er es wirklich nur gut mit ihr – und sie hatte in ihrer grenzenlosen Unsicherheit wieder einmal alles missverstanden. “Es ist schon in Ordnung. Am besten, wir vergessen das Ganze einfach.”
Henrik Ljundberg nickte. “Abgemacht. Aber bitte gestatten Sie mir noch eine kleine Frage, die Sie mir hoffentlich nicht allzu übel nehmen.”
Fragend blickte Annie ihn an. “Bitte?”
“Was ist zwischen Grey und Ihnen heute Abend auf dem Fest passiert?”
Müde fuhr Annie sich über die Augen. “Wenn ich das nur wüsste”, sagte sie, ohne über mögliche
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