Gewitter über Emilienlund: Mittsommerglück (German Edition)
machte wegen dieser Nacht? Annie schüttelte den Kopf. Unsinn, das würde er ganz sicher nicht. Sie war schließlich nur seine Angestellte, was sollte er denn schon an ihr finden? Er hatte einfach seinen Spaß gehabt, nicht mehr und auch nicht weniger.
Annie parkte ihren Firmenwagen in einer kleinen Seitenstraße. Sie hatte absichtlich nicht direkt im Zentrum des Städtchens geparkt, weil sie noch ein paar Schritte zu Fuß gehen wollte, um die frische Luft zu genießen.
Vorbei an schmucken Häusern, vor denen prächtige Stockrosen blühten, ging sie auf die Hauptstraße zu, wo sich die Post befand. Dort sollte sie einige wichtige Unterlagen abholen. Immer wieder kamen ihr fröhlich wirkende Leute entgegen, die sie freundlich grüßten. Annie war begeistert. In London grüßte niemals jemand einen Menschen, den er nicht kannte. Hier in Schweden war das noch anders.
Gut gelaunt holte sie die Unterlagen ab und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Wagen. Auch die Rückfahrt genoss sie. Sie konnte sich gar nicht sattsehen an der bezaubernden Natur. Als sie Emilienlund schließlich wieder erreichte, atmete sie tief durch. Sie war froh gewesen, für eine Weile Grey aus dem Weg gehen zu können. Seit jener gemeinsamen Nacht waren einige Tage vergangen, und obwohl er, genau wie sie, so tat, als sei nichts geschehen, war die Stimmung doch eisig.
Sie war überrascht, Stimmen aus Greys Büro zu vernehmen, dessen Tür nur angelehnt war. Er hatte also Besuch. Jemand, der sich zuvor nicht angemeldet hatte. Es kam nicht gerade häufig vor, dass Grey in seinem Büro hier in Emilienlund Gäste empfing. Zwar konnte es durchaus schon einmal sein, dass Henrik Ljundberg unverhofft vorbeischaute, um nach dem Rechten zu sehen. Das war so weit nichts Außergewöhnliches. Ungewöhnlich war, dass das Gespräch, von dem Annie ungewollt einige Fetzen aufgeschnappt hatte, auf Englisch geführt wurde, nicht auf Schwedisch. Demnach konnte es sich nicht um Henrik handeln.
Aber um wen dann?
Während sie noch überlegte, ob sie ihrer Neugier nachgeben und heimlich einen Blick in das Büro werfen sollte, war Grey ihre Rückkehr offenbar nicht entgangen. Die Gegensprechanlage knackte, dann hörte sie seine Stimme – schroff und unpersönlich, wie immer in letzter Zeit.
“Miss Fielding”, sagte er, und Annie war überrascht, dass er diese förmliche Anrede benutzte. Zwar hatten sie das förmliche Sie der Form halber beibehalten, dass Grey sie jedoch nicht mehr beim Vornamen nannte, war neu. “Würden Sie bitte zwei Tassen Kaffee in mein Büro bringen? Ich habe Besuch.”
“Natürlich”, sagte sie. Wenige Minuten später betrat sie, ein Tablett mit einer Kanne Kaffee, zwei Tassen, Milch und Zucker vorsichtig auf der Hand balancierend, Greys Büro.
“Vielen Dank, Miss Fielding.” Grey stand auf und nahm ihr das Tablett ab. “Das wäre dann alles.”
Enttäuscht wandte Annie sich ab. Sie hatte nicht einmal Gelegenheit gehabt, einen Blick auf den unbekannten Besucher zu werfen. Doch aus irgendeinem Grund schien Grey es eilig zu haben, sie aus seinem Büro zu manövrieren.
“Na, ich muss schon sagen, du enttäuscht mich, Grey. Willst du mir die gute Seele deines Unternehmens nicht wenigstens einmal vorstellen?” Der Besucher drehte sich auf seinem Stuhl herum, schaute Annie unverwandt an und nickte anerkennend. “Nun, zumindest weiß ich jetzt, warum du sie mir lieber vorenthalten möchtest, mein Lieber. Du willst sie für dich behalten, habe ich recht?” Er lächelte. “Deine Umgangsformen mögen hier draußen in der Einöde ein wenig verstaubt sein, dein guter Geschmack hingegen hat nicht gelitten.”
Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob der Mann sich von seinem Platz. Annie fiel auf, wie groß er war. Größer noch als Grey, der sie bereits um ein gutes Stück überragte. Er besaß den Körperbau eines Athleten, durchtrainiert, aber dennoch schlank. Dunkles, leicht gewelltes Haar umrahmte ein sonnengebräuntes, markantes Gesicht mit ausgeprägten Kanten und Linien. Ein attraktiver Mann, dem die Frauen sicherlich zu Füßen lagen. Doch das überhebliche Lächeln und der hochmütige und zugleich abschätzende Blick seiner wasserblauen Augen machten – zumindest, was Annie betraf – den ersten Eindruck zunichte.
Sie wartete, wie Grey reagieren würde. Schließlich seufzte er leise und nickte, was Annie als Aufforderung verstand, sich zu nähern. Zu ihrer Überraschung legte Grey ihr fast besitzergreifend einen Arm um die
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