Gewitter über Emilienlund: Mittsommerglück (German Edition)
Vorsichtig streckte sie ihre Glieder und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass sie anscheinend nicht ernsthaft verletzt war. Erst als sie ihren rechten Fuß bewegte – den, den sie sich an jenem Abend im Wald bei Greys Hütte verstaucht hatte –, durchzuckte sie ein scharfer Schmerz. “Autsch!”
“Kommen Sie.” Grey half ihr, sich aufzusetzen, und zog ihr vorsichtig den Reitstiefel aus, um ihren Knöchel zu untersuchen. Obwohl er sehr behutsam zu Werke ging, musste Annie die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut aufzuschreien.
“Was ist denn los? Hat sie sich was getan?”
Erst jetzt bemerkte Annie, dass Mark Cardassian etwas abseits noch immer auf seinem schwarzen Hengst saß und die Szene gleichgültig, ja sogar ein wenig gelangweilt betrachtete. Grey feuerte einen hasserfüllten Blick auf ihn ab. “Wie konntest du Rosebud nur aufstacheln? Du wusstest doch, dass Annie nicht besonders sicher im Sattel sitzt!”
Desinteressiert hob Cardassian die Schultern “Ich konnte ja nicht ahnen, dass das Pferd gleich durchgeht. Also, was ist nun? Ist sie okay?”
Grey schüttelte grimmig den Kopf. “Nein, sie ist nicht okay. Der Knöchel ist wahrscheinlich verstaucht. Aber ich bin kein Arzt, er könnte ebenso gut auch gebrochen sein.”
“Dann solltest du wohl besser jemanden auftreiben, der sich damit auskennt.”
“Nein, das ist nicht nötig”, widersprach Annie rasch. Der Gedanke, dass ihretwegen solche Umstände gemacht wurden, war ihr furchtbar unangenehm. Umständlich rappelte sie sich auf. “Ich bin sicher, wenn ich vorsichtig auftrete …” Der Rest des Satzes ging in einem schmerzerfüllten Aufschrei unter. Allein der Versuch, den Fuß zu belasten, war so schmerzhaft, dass ihr ganz schwindelig wurde.
Ehe sie zu Boden sinken konnte, fing Grey sie auf und half ihr, sich hinzusetzen. “Okay, das können Sie gleich wieder vergessen, hören Sie, Annie?” Er wandte sich an Cardassian. “Und du tu wenigstens einmal in deinem Leben etwas Sinnvolles und reite zum Haus zurück. Sag meiner Haushälterin, dass sie Dr. Arnulfson anrufen soll, und wenn er eingetroffen ist, bringst du ihn her.”
“Ich?” Cardassian lachte auf. “Das könnte dir so passen, O’Brannagh! Du spielst hier für Annie den Babysitter, während ich den Laufburschen markiere? Kommt überhaupt nicht infrage. Und ganz davon abgesehen, kenne ich mich hier in der Gegend überhaupt nicht aus. Keine Ahnung, ob ich den Weg zu deinem Haus alleine zurückfinden würde.”
Grey sah aus, als stünde er kurz davor zu explodieren. Der Blick, mit dem er seinen ehemaligen Kommilitonen maß, war vernichtend. Annie fühlte sich alles andere als wohl bei dem Gedanken, allein mit Cardassian zurückzubleiben. Andererseits wollte sie nicht, dass es zwischen den beiden Männern zu einem offenen Streit kam, deshalb sagte sie: “Ich komme schon zurecht, Grey. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich bin sicher, dass Mr. Cardassian gut auf mich aufpassen wird.”
Zweifelnd blickte er zwischen Annie und Mark hin und her. Schließlich nickte er grimmig. “Okay, wenn Sie meinen. Ich werde so schnell wie möglich zurück sein.”
Grey ritt, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Rasend schnell flog die Landschaft an ihm vorüber, doch er hatte keine Zeit, sich an der bezaubernden, unverfälschten Natur zu erfreuen.
Die ganze Sache gefiel ihm nicht. Je weiter er sich von der Unfallstelle entfernte, umso mehr warf er sich vor, Annie bei Cardassian zurückgelassen zu haben. Dieser Mann war hinterhältig und selbstsüchtig. Grey zweifelte daran, dass er tatsächlich ein ernsthaftes Interesse an Annie hegte. Es ging ihm lediglich darum, seine Macht zu demonstrieren. Dennoch es war ihm zuzutrauen, dass er die Situation für seine Zwecke ausnutzte.
Fluchend trieb er seinen Hengst zu noch größerer Eile an. Endlich, nach einer halben Ewigkeit, kam Emilienlund in Sicht. Direkt vor den Stufen zur Veranda sprang er aus dem Sattel und stürmte ins Haus.
“Nanu?”, rief Henrik überrascht, der beinahe von seinem Freund über den Haufen gerannt worden wäre. “Was ist denn mit dir los? Du bist ja völlig außer dir!”
“Annie … Sie hatte einen Unfall!” Mühsam rang Grey nach Atem. “Bitte ruf Dr. Arnulfson an, ja? Ich muss sofort wieder los. Am besten, ich nehme den Wagen. Reiten kann sie in ihrem Zustand sicherlich nicht mehr.”
Erschrocken starrte Henrik ihn an. “Ein Unfall? Großer Gott, was ist denn passiert? Sie ist doch
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