Gewitter über Emilienlund: Mittsommerglück (German Edition)
zu lassen. Annie war auch nicht anders als alle anderen – nur gerissener. Offenbar hatte sie schnell gemerkt, dass bei ihm nichts zu holen war. Doch clever, wie sie war, hatte sie die Augen offen gehalten, um ein anderes williges Opfer zu finden.
Im Grunde konnte er ihr das nicht einmal allzu sehr verübeln. Aber die Tatsache, dass sie sich ausgerechnet Mark Cardassian, diesem hinterhältigen Erpresser, an den Hals hatte werfen müssen, würde er so schnell nicht verwinden.
“Ich hätte dir einen besseren Geschmack zugetraut”, stieß er halblaut hervor.
Stöhnend fuhr er sich durchs Haar. Fing er jetzt etwa auch noch an, Selbstgespräche zu führen?
Und dann hatte er jetzt auch noch ganz andere Probleme am Hals. Spätestens jetzt würde Cardassian alles daran setzen, ihm bei dem Bergström-Deal in die Quere zu kommen. Wahrscheinlich war er jetzt schon auf der Suche nach demjenigen, der ihm das Meiste für die internen Informationen, die er sich erschlichen hatte, bieten würde. Und das bedeutete, dass Grey und damit auch O’Brannagh Industries jetzt die Zeit davonlief.
Erschrocken zuckte er zusammen, als plötzlich ein grelles Klingeln die Stille zerriss. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass es sich um das Läuten des Telefons handelte.
“Wer ist da?”, fragte er unwirsch, nachdem er sich dazu durchgerungen hatte, den Hörer abzunehmen.
Wie sich herausstellte, war niemand anderes als Henrik am anderen Ende der Leitung. “Was ist dir denn widerfahren? Ich wollte mich eigentlich nur erkundigen, wie Annie den Unfall überstanden hat.” Plötzlich klang er alarmiert. “Es ist doch alles in Ordnung mit ihr, oder?”
“Annie? Oh ja, der geht’s bestens”, stieß Grey bitter hervor. “Wenn man mal davon absieht, dass ich ihr bei ihrer neuesten Eroberung einen Strich durch die Rechnung gemacht habe.”
Für einen Moment herrschte Schweigen, dann sagte Henrik: “Hör mal, wenn du nichts dagegen hast, komme ich zu dir rüber. Ich bringe eine Flasche Bourbon mit, und dann reden wir über alles, okay? Du bist ja völlig durcheinander.”
“Bring lieber zwei Flaschen mit”, erwiderte Grey, ehe er auflegte. Dann ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und barg das Gesicht in den Händen. Es war lange her, dass er zum letzten Mal das Bedürfnis verspürt hatte, sich hemmungslos zu betrinken. Nicht mehr, seit der Sache mit Joanna.
Damals hatte er sich geschworen, sich niemals wieder auf eine Frau einzulassen. Sein Leben war völlig in Ordnung gewesen, solange er sich an diesen Vorsatz gehalten hatte. Dann aber war Annie aufgetaucht und hatte alles auf den Kopf gestellt. Ein weiteres Mal hatte er sich von den Ränken einer Frau einwickeln lassen.
Ein schrecklicher Fehler.
Nur dass er es dieses Mal wenigstens rechtzeitig bemerkt hatte.
Er stand auf und öffnete die Minibar, die in einem Fach seines Büroschranks verborgen war. Seine Finger zitterten leicht, als er ein Glas mit einem doppelten Gin Tonic füllte. Er hatte beschlossen, schon einmal ohne Henrik anzufangen. Und diesmal würde er nicht aufhören zu trinken, ehe er sich das weibliche Geschlecht endgültig aus dem Kopf geschlagen hatte.
9. KAPITEL
“S ind die Unterlagen für das Meeting vorbereitet?” Annie zuckte so heftig zusammen, dass ihr beinahe die Akte aus der Hand fiel, an der sie gerade gearbeitet hatte. Seit jenem Vorfall mit Cardassian war die Stimmung zwischen Grey und ihr angespannter denn je. Sie blickte auf und zwang sich, seinen kühlen Blick gelassen zu erwidern. “Natürlich. Ich habe so gut wie alles beisammen. Es fehlen nur noch ein paar kleine Details, aber …”
“So gut wie alles reicht nicht!” Barsch schnitt Grey ihr das Wort ab. “Sie wissen genau, wie viel von diesem Projekt abhängt, oder habe ich das bisher nicht deutlich genug ausgedrückt?”
Annie runzelte die Stirn. “Doch natürlich, aber …”
“Kein ‘aber’, ich erwarte von Ihnen hundertprozentigen Einsatz, darüber sollten Sie sich im Klaren sein. Und wenn Sie mit diesen Anforderungen ein Problem haben, steht es Ihnen jederzeit frei zu gehen.”
Ohne ihr die Möglichkeit zu geben, etwas zu erwidern, verschwand er in seinem Büro. Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss.
Seufzend wandte Annie sich der Akte zu, doch es wollte ihr nicht gelingen, sich auf die Unterlagen zu konzentrieren. Ihr Blick fiel auf die Uhr, die vor ihr auf dem Schreibtisch stand. Es war bereits kurz nach zehn. Das Büro war in Dunkelheit getaucht,
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