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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ihren
Norwegerpullovern. Doch es war wohl auch Erleichterung mitgeschwungen. Bei
aller Freundschaft hatte wohl ein jeder gespürt, daß hier etwas ganz und gar
Unkoscheres abgelaufen war.
    Ich liebe diese Langstreckenflüge. Obwohl ich ja ungern
auf Reisen bin. Im Flugzeug aber kommt es einem vor, als würde man im Grunde
nicht transportiert werden, sondern Zeit geschenkt bekommen. Sinnlose Zeit.
Zeit, mit der man nicht wirklich etwas anfangen kann. Übrigens auch die Geschäftsleute
nicht, selbst wenn sie noch so energisch in ihre kleinen, armen Maschinchen
hineinhämmern und noch so geräuschvoll in ihren Papieren blättern wie kleine
Kinder, die sich verstecken, aber eigentlich gefunden werden wollen, und darum
hüsteln und klopfen und zum zwanzigsten Mal »Geht schon!« rufen.
    Sie ist wunderbar, diese sinnlose Zeit. Fliegen müßte viel teurer
sein. Man sollte den Wert einer solchen Fortbewegung höher einschätzen. Wozu
natürlich gehören würde, die Besserverdienenden nur noch selten in ein Flugzeug
zu lassen. – Nein, die Geschäftswelt bräuchte nicht zusammenzubrechen, wenn all
diese Kaufleute, anstatt in zehntausend Metern mit dem Papier zu rascheln, am
Boden bleiben würden, wo sie hingehören, um dort ihre Arbeit zu machen.
    Den Blick noch immer nach draußen gerichtet, im linken Ohr
das Schnaufen meiner geliebten Frau, mußte ich erneut daran denken, daß absolut
nichts in der Holzhütte darauf hingewiesen hatte, daß an genau dieser Stelle
der Hangar und die Startrampe eines nicht gerade kleinen Raumschiffs gewesen
waren. Für mich – der ich ja gewußt hatte, wonach zu suchen war – hätte sich
eigentlich irgendeine Spur zeigen müssen.
    Mit einem Mal stand ein Gedanke vor mir, der mich aber nur einen
kleinen Moment erschreckte, um sogleich eine angenehme Wärme auszustrahlen. Der
Gedanke, ich sei schlichterweise verrückt. Ein kleiner Irrer! Kein
Wahnsinniger, der Blut an die Wand schmiert, nur ein Mann, der hin und wieder
ein wenig phantasiert. Und sicher nicht der erste, der sich einbildet, ein
Außerirdischer zu sein.
    Ein Gefühl der Klarheit überkam mich. Und der Freiheit. Ich hatte
mir das alles nur eingebildet, diese sechs Jahrhunderte meines Lebens als Xler,
als ein Mann, der Nachrichten aus Wassergläsern empfing. Völliger Blödsinn! Ich
hatte nie einen Archaeopteryx gestohlen, sowenig wie ich in Wien gewesen war
und einen unschuldigen kleinen Bäcker umgebracht hatte. Kein Picasso, keine
Claire, kein aus Wasserflüssen zusammengesetztes schwebendes Vehikel. Nur das
Leben eines Mannes, der eine unbedeutende Kulturzeitschrift herausgab und im
übrigen halt ein bißchen plemplem war. Und dessen größte echte Sorge wahrscheinlich darin bestand, daß seine Frau so gern zum Schifahren ging.
    Sicher, der Streit mit den vier Arabern war tatsächlich geschehen.
Aber dies bedeutete nur, daß ich versucht hatte, auf rabiate Art meinem Wahn zu
entkommen, als selbiger sich zugespitzt hatte und zu einer Bedrohung meines
Geistes geworden war. – Jetzt war ich ihn endlich los, als hätte ich einen
Parasiten aus mir herausgerissen. Mit einem einzigen heftigen Griff hatte sich
die Sache erledigt.
    Ja, das klang ein wenig einfach. Aber auch das Einfache hat seinen
Platz in der Welt, sagte ich mir.
    Ich nahm Marittas Kopf von meiner Schulter und lehnte ihn
sachte gegen das Kissen. Mir war nach Bewegung. Und mir war nach einem Schluck
Alkohol. Es handelte sich hier um ein großes Flugzeug, so groß, daß selbst eine
Bar Platz hatte (auch Bars sind Teil der Natur, sie wachsen an für sie
günstigen Orten).
    Während ich an Maritta vorbeiging, blendete mich etwas. Dieses Etwas
war an ihrer Hand, an ihrem Finger: ein Ring. – Nun, das war ein Problem. Woher
hatte ich das Geld gehabt, um einen solchen Ring zu ersteigern? Oder war er gar
nicht so wertvoll, wie ich glaubte? Mitnichten aus dem Besitz der Monroe
stammend? Eher aus dem Besitz meiner Familie? – Meine Familie? Ich konnte mich
nicht an sie erinnern. Gut, das mußte nichts bedeuten. Vergeßlichkeit und
Verdrängung waren wohl kaum das Privileg von Außerirdischen.
    Ich betrat eine wirklich hübsche Bar, die da quasi aus dem Boden des
Flugzeugs sich entfaltet hatte. Rotes Holz und weißes Glas. Eine oval
geschwungene Theke, hinter der eine junge Frau stand, die eine steife beige
Bluse trug und ihr Haar in

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