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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Unter uns
das große Meer. Marittas Kopf lag an meiner Schulter. Ich meinte sie trotz des
Gedröhns atmen zu hören. Wie kleine Kinder atmen, angestrengt und unschuldig.
Vor uns schnarchte jemand im Stil der Kater-Karlo-Männer. Als wollte er im
Traum ein Haus niederreißen oder einen Berg sprengen. Kaum jemand war noch
wach. Eine gesunde Mischung aus Alkohol und Tabletten bescherte mir einen
wohligen Zustand, so wohlig, daß ich ihn nicht an den Schlaf verlieren wollte.
Also sah ich aus dem Fenster. Dieser biedermeierlich beschränkte Blick auf das
Weltall war mir so viel lieber, als in der transparenten Hülle eines unserer
Raumschiffe zu sitzen und mich wie ein Höhenkranker auf einer Wendeltreppe zu
wähnen.
    Am Morgen nach der Nacht, in der ich mich in meinen
fidelen Rassismus geflüchtet hatte, war erneut der Hotelmanager erschienen, und
man hatte mich in ein Krankenhaus transportiert. Dort war nichts festgestellt
worden, was mich oder erst recht die Leitung des Timberline Lodge hätte aufregen
müssen. Prellungen, wahrscheinlich eine leichte Gehirnerschütterung, ein
ordentlicher Cut, all das, was zu einem guten Boxkampf gehörte, aber nicht
mehr. Ich hatte mich geradezu vergnügt gefühlt ob des Krankenhauses und der
vielen lieben Leute dort. Erst gegen Abend war ich zurück ins Hotel gekommen.
Meine gute Stimmung hatte sich jählings in eine düstere Ahnung verwandelt. Umso
erleichterter war ich gewesen, als ich feststellen durfte, daß der Picasso wie
auch der Archaeopteryx aus meinem Zimmer verschwunden waren. Maritta hatte zwar
gemeint, eine Tasche würde fehlen, doch ich hatte sie inniglich gebeten, sich
nicht weiter darum zu kümmern. – Wie viele Frauen hätten jetzt zu nerven
begonnen? Hätten lieber das Leben oder wenigstens die Liebe aufs Spiel gesetzt,
als eine Tasche abzuschreiben! Keine Plastiktüte, sondern bestes Leder, Vuitton
oder was ähnlich Braunes. Maritta indes hatte einfach meinen Wunsch akzeptiert.
Ohne kritischen Blick, ohne ironischen Kommentar, ohne die leise Drohung, daß
ich dafür einst würde büßen müssen. Sie hatte den Verlust der Tasche mit einer
Leichtigkeit weggesteckt, als würde sie in ihrem Leben noch genug Taschen zu
Gesicht bekommen. Was ja in der Tat der Fall wäre. Aber dies zu erkennen und
sodann danach zu leben war echte Genialität gewesen.
    Noch am selben Abend hatte ich unter der »therapeutischen Leitung«
des Hoteldirektors meine vier Kontrahenten getroffen. Man hatte von Irrtümern
und Mißverständnissen gesprochen und über die in ihren Bedeutungen nicht immer
einfache deutsche Sprache, ja man unterhielt sich in bester Laune darüber, wo
es den besten Schnee gäbe und ähnlich Wichtiges. Ich hatte natürlich von
Botnang erzählt, von meinem literarischen Magazin, von der unaufgeregten Grazie
Stuttgarts und wie sehr gerade diese Stadt das europäische Prinzip erfülle,
nachdem auch urbane Räume Teil der Natur seien, selbst noch die verstopften
Straßen.
    Trotz dieses versöhnlichen Ausgangs einer für mich in jeder Hinsicht
erfolgreichen Konfrontation hatte ich Maritta gebeten, den Urlaub abzubrechen.
Ich hatte so rasch wie möglich weg von hier gewollt, und sie hatte mich
verstanden. Zwar falsch verstanden, aber das war gut so gewesen. Wie hätte ich
ihr erklären sollen, daß ich fürchtete, doch noch dazu verpflichtet zu werden,
meiner Funktion als Agent erster Klasse nachzukommen?
    So groß diese Angst gewesen war, hatte es mich am Folgetag
gleichwohl zu der Hütte hinüber gezogen, wo vielleicht noch immer… Mir war ein Stein vom Herzen gefallen,
eine Kanonenkugel, ein Elefant der Sorgen und was sonst so ein Herz beschweren
kann. Allerdings war ich ziemlich verblüfft gewesen. Nicht darum, weil das
Raumschiff verschwunden gewesen war – wofür ich Gott gedankt hatte. Aber auch die
Höhle war verschwunden gewesen. Ich war in einer ganz normalen leeren Hütte
gestanden. Bloß ein Tisch und ein paar Stühle. Zur Felswand hin eine leere Wand
aus hölzernen Latten. Als ich dagegen geklopft hatte, war da nichts gewesen,
was einen rückseitig gelegenen hohlen Raum verraten hätte. Sicher, der Umstand
war recht verwirrend gewesen, dennoch war ich lieber verwirrt als im Weltall.
    Am nächsten Tag waren wir abgereist. Man hatte uns gewinkt: das
Personal, das Management, die Wachmannschaft, die vier Araber in

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