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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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fünfzehnjährigen
Durchquerung des Sonnensystems hinterherhinken? Als ich sah, wie du da im
Restaurant einen Streit vom Zaun gebrochen hast, war mir sofort klar, was du im
Sinn hast. Alter Bastard!«
    Claire schilderte, wie sie augenblicklich nach oben gegangen und in
mein Zimmer eingebrochen war, um die Tasche mit den beiden Objekten an sich zu
nehmen.
    Â»Wegen dir«, hielt sie mir vor, »mußte ich mitten in der Nacht durch
den Schnee stampfen. Sehe ich so aus, als sei ich dafür geboren?«
    Ich konnte nicht anders. Anstatt die Frage als die rhetorische zu
akzeptieren, die sie war, blickte ich hinunter auf Claires lange, dünne,
bereits etwas knochig zu nennende Beine, die in sehr schmale und sehr rote und
sehr luftige Spangenpumps mündeten, mit deren hohen Absätzen man den Schnee
vielleicht quälen oder schwer verletzen, doch sicher schlecht überwinden
konnte.
    Ich bemühte mich um eine Gelassenheit, die zu meinem olivenlosen,
jedoch zitronenbesetzten Martini paßte, und sagte ihr: »Aber du hast es ja
offensichtlich geschafft.«
    Â»Denkst du, du könntest dich retten, indem du frech wirst?«
    Â»Ich bin nicht frech, ich stelle nur fest, daß im Grunde alles gut
ausgegangen ist. Niemand auf diesem Raumschiff braucht mich. Das Gemälde und
der Vogel jedoch sind an Bord. Ich selbst wäre bloß ein unnötiger Esser
gewesen.«
    Sie fragte mich, ob ich Fieber hätte. Die da oben – und dabei zeigte
sie in die ungefähre Richtung von X – würden toben, wenn sie erführen, was
geschehen war. »Wahrscheinlich«, kündigte Claire an, »wird man beschließen,
dich liquidieren zu lassen. Dich und deine kleine Frau. Hast du vergessen, daß
ein Agent erster Klasse nicht einfach ausscheren kann? Nicht einfach in Rente
gehen kann, wenn’s ihm paßt? Und am allerwenigsten am Höhepunkt seiner
Karriere. Du hättest ein Held werden können. Jetzt, mein lieber Soonwald, wirst
du es maximal zum toten Mann bringen.«
    Ja, sie hatte recht. Ich hatte mir das alles nicht genau überlegt.
Nicht genau überlegen wollen .
    Dennoch erklärte ich warnend: »Laß die Finger von meiner Frau!«
    Â»Oha! Meinst du wirklich, ich würde das
entscheiden, welche Finger hier wen oder was anfassen werden?«
    Â»Du könntest mir helfen, wenn du willst.«
    Claire schenkte mir einen chirurgischen Blick und sagte:
»Vielleicht. Aber warum sollte ich? Beinahe hätte ich mir in dem blöden Schnee
die Beine gebrochen.«
    Ich schaute noch einmal an ihr hinunter und urteilte: »Deine Beine
sind eins a.«
    Â»Was soll das jetzt?«
    Ja, was sollte das? Glaubte ich wirklich, damit die Sache zum Guten
wenden zu können? Durch ein Lob der Beine?
    Ich richtete meinen Blick auf und bot ihr an: »Sag mir einfach, was
du von mir verlangst. Was ich tun soll. Und da gibt es doch sicher einige
Dinge, oder?«
    Â»Ich kann gute Männer immer gebrauchen«, meinte Claire. »Und du bist
ja eigentlich ein guter Mann. Dumm nur, daß du dein Herz an die Erde und an die
Menschen verloren hast.«
    Â»Du denn nicht?« fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.
    Â»Wie kommst du drauf?« Claires aufmerksamer Chirurgenblick
verwandelte sich in den mitleidlosen einer Anästhesistin. »Für mich sind die
Menschen wilde Tiere, die eher zufällig in die Kultur hineingeraten sind. Was
ihnen nicht viel gebracht zu haben scheint. Es besteht die pure Schizophrenie.
Affen, die sich rasieren, Gänse, die sich schminken. Wir würden sagen, die
Menschen fressen wie die Schweine, aber sie tun es mit Besteck. Wobei sie
dieses Besteck gleichsam einer Waffe in den Händen halten. So tot kann ein
Steak gar nicht sein, daß es nicht aussieht, als würden sie es noch toter machen
wollen. Wenn Menschen telefonieren, könnte man meinen, sie versuchten entweder
eine weit entfernte Person zu erschießen oder sich selbst oder beide. Hebt
einer einen Kugelschreiber hoch, entsteht der Eindruck einer Messerattacke. Die
Menschen sind kaum in der Lage, über das Prinzip der Bewaffnung und des Kampfes
hinauszudenken. Wenn sie es sich leisten können, Kunst anzuhäufen, dann tun sie
das mit dem Herzen eines Kriegsherrn. Sie wollen ihre Feinde mit dieser Kunst
plattfahren.«
    Â»Und die Musik?« fragte ich eingedenk des Umstands, daß die gute
Claire scheinbar eine gewisse Liebe zur Zweiten Wiener Schule entwickelt

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