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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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hatte.
    Â»Die Musik ist überhaupt das Schlimmste. Entweder ist sie barbarisch – nehmen wir nur die Rolling Stones, Musik von Barbaren für Barbaren; ein
dummer, obszöner Zwerg, der wie ein elektrifiziertes Huhn über die Bühne hüpft
und ein masochistisches Publikum anschreit; und ich will mir gar nicht
vorstellen, dieser Mann könnte einer von uns sein und noch ein paar hundert
Jahre sein Unwesen treiben. Oder aber die Musik ist die Bombe der
Privilegierten gegen die Unterschicht, und Opern und Konzerthäuser sind
Raketenabschußrampen.«
    Â»Schön ist diese Musik dennoch«, wandte ich ein. »Und es sind
Menschen, die sie komponiert haben. Schubert war ein Mensch. Schönberg war ein
Mensch.«
    Â»Ich glaube nicht, daß die beiden als Menschen viel wert waren.
Kleinmütig, verbittert, inkonsequent. Aber offensichtlich sind einige dieser
Kleinmütigen, Verbitterten, Inkonsequenten in der Lage, wohlklingende Töne
hervorzubringen.«
    Â»Himmlische Töne«, sagte ich. – Wobei erwähnt werden muß, daß auf X
die Musik eine sehr viel geringere Bedeutung besitzt. Sie gilt als reines
Ornament, als Untermalung im Film und im Supermarkt, als Begleitung sich
öffnender Aufzugtüren und sich schließender Backrohre. Und was wir vom Gesang
der Vögel halten, brauche ich hier ja nicht mehr auszuführen.
    Es war offensichtlich, wie unterschiedlich Claire und ich das Wesen
der Menschen beurteilten, wenngleich ich zugeben muß, daß eine kriegerische Note
tatsächlich tief in der menschlichen Psyche steckt, sie dominiert. Aber ich
erkenne neben dem Krieger und der Kriegerin eben auch den Kulturmenschen, ich
erkenne das Bedürfnis nach Harmonie, nach einer Veredelung des Geistes und
nicht nur nach einer Veredelung der Granaten.
    Meine Vermutung war, daß Claire bloß darum so sprach, weil sie in
den Jahrzehnten, die sie auf der Erde zugebracht hatte, der Musik gnadenlos
verfallen war. Gerade jener Musik, die allgemein als schwierig galt. Ihre
Verachtung für die Rolling Stones war sicher echt, doch mindestens so groß war
ihre Liebe zu den Neutönern. Das paßte zu ihr, diese ausgeprägte Arroganz des
Artifiziellen. Hinwendung zu einer Musik, die im herkömmlichen Sinn gar nicht
verstanden werden wollte, schon gar nicht von den selbsternannten
Musikliebhabern, sondern nur von Leuten, für welche Liebe und Verstand
ineinandergriffen. Man sah Claire diese Haltung sogar an, wenn sie eine
Zigarette rauchte. Das war nicht nur einfach mondän, sondern zudem elaboriert.
Sie rauchte so, als begreife sie jeden chemischen und sonstigen Prozeß, der
damit einherging, und als verstehe sie es zugleich, sich selbst in ein
perfektes Verhältnis zu diesen Prozessen zu setzen. Ohne sich dabei von einer
dahergelaufenen Stewardeß als Barkeeperin aus dem Konzept bringen zu lassen.
    Claire äußerte, sie hätte in Wien einen Job für mich. Sie benötige
jemanden, dem sie wirklich vertrauen könne und welchem sie nicht ständig auf
die Finger klopfen müsse. Diese Fingerklopferei nerve sie zusehends.
    Â»Das kann ich verstehen«, sagte ich, »aber denkst du im Ernst,
ausgerechnet ich sei verläßlich?«
    Claire schenkte mir einen Honigblick, in dem ein jeder Löffel
rettungslos steckengeblieben wäre, und meinte: »Ich gehe davon aus, daß du
nicht so blöd bist, ein weiteres Mal zu versuchen, 200000 Dollar auszugeben, die dir nicht gehören.«
    Â»Stimmt«, sagte ich. »Wahrscheinlich hätte ich Skrupel. Aber das ist eine Sache. Eine andere ist, daß ich nicht nach Wien
will. Ich fühle mich wohl in Botnang.«
    Â»Na und? In Botnang kann ich dich nicht brauchen, Soonwald.«
    Â»Meine Frau…«
    Â»Das interessiert mich nicht. Da mußt du selbst zusehen, wie du das
arrangierst. Bedenke die Alternative! Wenn ich darauf verzichte, dich zu
decken, also denen da oben nicht irgendeine Geschichte auftische von wegen
höherer Gewalt, dann wird es für dich und deine Frau keine Zukunft geben. Auch
nicht in Botnang. – Gott weiß, was du an den Schwaben findest. Jede Nudelsuppe
hat mehr Esprit als dieses Völkchen.«
    Â»Dann verstehe ich nicht, wieso du in Singen eine Diskothek führst.«
    Â»Ich sagte nicht, die Schwaben seien ohne Bedeutung. Sie verfügen
über einige Macht in der Welt. – Doch Macht braucht keinen Esprit.«
    Â»Und in

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