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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Hütte zu erreichen, in
welcher eine mit Wasser angetriebene Schönheit namens Emily zum Start bereit
stand. Ein Start, den man nun würde verschieben müssen. – Es war freilich
anzunehmen, daß Schindler bereits wußte, was geschehen war, und sie jetzt
versuchen würde, der beiden wertvollen Objekte in meinem Zimmer habhaft zu
werden. Welche nicht etwa im Tresor lagen, der dafür zu klein gewesen wäre,
sondern ganz einfach in einer meiner Reisetaschen. Jedenfalls war das einer der
wahren Gründe, diese Nacht woanders zubringen zu wollen.
    Mit der größten Freude wurde mein Wunsch erfüllt. Man brachte mich
in die Hochzeitssuite, was ich mehr als passend fand. Eingedenk des Ringes, den
ich Maritta geschenkt hatte. Und eingedenk dessen, daß ja wirklich ein weiterer
Lebensabschnitt für uns beide begann, sowenig Maritta dies ahnen konnte. Mein
verwundetes Gesicht war somit ein fundamentaler Ausdruck des Neubeginns. Ja,
ich kam mir nun wirklich gereinigt vor. Das körperliche Leid verwandelte sich
in eine seelische Euphorie.
    Als ich in dem überbreiten Himmelbett lag (so groß, daß
darauf Zirkusturner komplizierten Sex hätten haben können), erfüllte mich ein
starkes Begehren nach Maritta. Welche sich aber noch in der Position der
Heilpflegerin befand und mir zwei Tabletten in den Mund zu schieben versuchte,
damit ich trotz der Schmerzen würde schlafen können.
    Ich wollte jedoch nicht schlafen und nahm statt der Medizin die
Medizinerin fest in meine Arme.
    Â»Aber Klaus…«
    Â»Kein Aber. Ich brauche jetzt eine Arznei, die auch wirkt.«
    Maritta, als Ärztin alles andere als dogmatisch, ließ die Tabletten
fallen und befreite sich nur darum aus meiner Umarmung, um sich ihr Abendkleid
über den Kopf zu ziehen, der Unterwäsche zu entledigen und sich sodann mit der
allergrößten Fürsorge auf meinen Unterleib zu setzen und das längst
aufgerichtete Glied in sich aufzunehmen.
    Ich muß gestehen: Ein wenig begriff ich, was diese Leute antreibt,
die sich aus lauter Liebe Schmerzen zufügen lassen. Nicht, daß das hier
geschah. Im Gegenteil, da Maritta mich ja weder fesselte noch anderswie
traktierte, sondern mit sanften Bewegungen eher auf mir schwebte als sonstwas.
Dennoch spürte ich meine Knochen wie unter einem liebevollen Hieb, als geschähe
eine milde Demütigung, eine Verwundung, in welcher gleichzeitig das Prinzip der
Heilung steckte.
    In dem Moment, da es mir kam, war es zum ersten Mal genau so, wie
manche Menschen es beschreiben: ein kleiner Tod. Ein guter kleiner Tod.
    Maritta legte sich neben mich, blieb ganz dicht an mir und sagte:
»Ich bin so froh, daß ich mit dir zusammen alt werden kann.«
    Â»Ich auch«, gab ich zur Antwort.
    Das war ausgesprochen unrealistisch. Doch ich spürte die Macht des
Unrealistischen. Zumindest spürte ich die wohltuende Versuchung, etwas zu tun,
was der Natur widersprach. Nämlich nicht alt zu
werden. Nicht in einem Xschen Sinn. Also nicht noch weitere vierhundert Jahre
am Leben zu bleiben. Ohne freilich gleich sterben zu müssen. Nein, was ich im
Sinn hatte, waren ein, zwei Dutzend gute Jahre. Aber wer hat das nicht im Sinn?
Selbst Achtzehnjährige reden so, ganz zu schweigen von Achtzigjährigen, die
sagen: Zehn gute Jahre noch, dann soll mich der Teufel holen.
    Als ich einschlief, hörte ich Musik. Musik aus dem Nachbarzimmer.
Merkwürdige Musik. Merkwürdig angesichts dessen, daß ich mich im Timberline
Lodge befand, inmitten von schifahrenden Arabern und anderen Leuten ohne
Anstand und Würde. Diese Musik jedoch…Berg oder Schönberg?
    Nun, es war ja nur der hübsche Gleichklang der Namen, der mich zu
dieser Frage verführte. Eine Frage, die ich vor kurzem schon einmal…
    In den zwei, drei Sekunden, bevor man richtig einschläft, erkennt
man endlich die ganze Wahrheit. Schade nur, daß man sie, wenn man aufwacht,
wieder vergessen hat. Ja, man könnte fast meinen, daß dies der eigentliche
Grund ihres Bestehens ist. Wahrheit ist wie eine Fliege, die man mit der Hand
fängt. Zerdrückt man sie, kann man sie betrachten, doch dann ist sie tot. Wer
aber braucht eine tote Wahrheit? Öffnet man hingegen die Hand, ist sie weg. Wie
nie geschaut.

22  |  Zu Hause ist es am
schönsten
    Drei Tage später saßen wir in der ersten Klasse eines
Fliegers, der uns nach Frankfurt bringen würde. Draußen war Nacht.

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