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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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gewesen, wie Lorenz so hart gegen sich
selbst sein konnte, nicht ein einziges Stück dieser wunderbaren Naschereien zu
verkosten.
    Weil aber das alte Leben des Lorenz Mohn vorbei war und er ja auch
beschlossen hatte, weniger auf seinen Körper und mehr auf seinen Seelenfrieden
achten zu wollen, war er nun höchst erfreut, die alte Dame zu sehen.
    Wie hieß sie noch schnell? Er konnte sich nicht erinnern. Zudem
mußte er leider feststellen, daß sie statt eines mit Leckereien gefüllten
Tellers ein Briefkuvert in der Hand hielt. Mit ihrer kleinen Stimme erklärte
sie: »Das wurde für Sie abgegeben, Herr Mohn.«
    Â»Wann?«
    Â»Heute früh.«
    Â»Von wem?«
    Â»Das weiß ich nicht«, sagte die alte Dame. Sie erklärte, das Kuvert
auf dem Boden ihres Vorzimmers gefunden zu haben. Offensichtlich sei es von
jemandem durch den Briefschlitz geworfen worden. Und offensichtlich habe dieser
Jemand die Türen verwechselt, denn es stehe ja deutlich zu lesen Lorenz’ Name
darauf.
    Gerne hätte Lorenz die Frau jetzt nach einer Süßspeise gefragt. Sie
selbst, die Frau, roch so herrlich danach. Ihre Schürze, ihr Haar, ihre Haut,
man kann sagen, sogar ihre Sprache noch verströmten den Geruch von warmer
Butter und erhitztem Zucker. Und erst recht drang der Duft aus der
offenstehenden Wohnung der alten Dame. Der Gang füllte sich damit, das ganze
Haus.
    Aber natürlich unterließ es Lorenz, eine Kostprobe zu erbitten. Eine
Kostprobe, die sich hoffentlich zu späterer Stunde, auf dem obligaten Teller
serviert, einfinden würde. Im Moment freilich war nichts anderes zu tun, als
das Kuvert zu nehmen. Lorenz tat dies, bedankte sich und wünschte einen schönen
Tag. Aber im verbalen Nachfassen ließ er sich doch noch zu der Frage hinreißen,
was denn heute gebacken werde.
    Â»Mohnkuchen, Herr Mohn.«
    Es klang wie ein dummer Witz. Aber es war keiner.
    So ist es häufig. Viele Dinge, die wie ein Witz daherkommen – etwa
Tarifverhandlungen zwischen Leuten, die gewissermaßen miteinander im Bett
liegen und auch dafür bekannt sind, daß sie das tun –, erweisen sich als
ernstgemeint. Nie würde einer dieser sich lautstark oder unbeugsam gebenden
Verhandlungsführer auf die Idee kommen, sich einmal hinzustellen und zu
erklären, dies alles sei nur ein Kasperltheater: die nächtelangen Krisensitzungen,
das aufgeregte Hin- und Hergefahre, das tagelange Okkupieren von Luxushotels,
das Gequake bezüglich eigener Vernunft und fremder Unvernunft, die
Streikdrohungen, ja die Streiks selbst, das Beleidigtsein, das Nachgeben, das
Aufeinandertreffen in der Mitte, das Millimeter- und Promillegetue, dieses
ganze Affentheater, das sich über Tage und Wochen zieht und das zwei
mathematisch versierte Sekretärinnen in fünf Minuten über die Bühne kriegen
würden.
    Die Dinge kommen als Witz daher. Aber wir lachen nicht. Wir nehmen
alles ernst. So lange, bis es auch ernst ist.
    Lorenz ging in die Küche und drückte den Knopf seiner
vollautomatischen Kaffeemaschine. Der kleine Roboter preßte in Sekundenschnelle
das erhitzte Wasser durch die perforierte Kapsel und entließ einen Strahl
dunkler Flüssigkeit. Wenn Braun stirbt, dann hat man einen Espresso.
    Er griff nach der Tasse, ging zurück ins Wohnzimmer, setzte sich in
seinen Fernseh- & Schlafsessel, nahm einen Schluck Kaffee und öffnete
endlich das Kuvert. Es steckte ein einfaches Blatt darin, auf dem sich eine mit
Schreibmaschine gefertigte Nachricht befand. Bereits der bloße Anblick
verursachte ihm ein unangenehmes Gefühl. – Das Schriftbild von
Schreibmaschinen, diese gewisse Fragilität der Buchstaben, ihre mitunter invalide
Körperlichkeit erinnern stets an jene Zeit, da man Verbrecher noch mittels der
Eigenheit einer bestimmten Type (meistens des vielbenutzten »e«) überführen
konnte. Schreibmaschinen hängt der Verdacht an, in einem quasi körperlichen
Verhältnis zu ihren Benutzern zu stehen, sodaß jeder Abdruck der Maschine
zugleich einen Abdruck des Schreibenden darstellt. Darum darf es nicht
verwundern, daß heutzutage, in einer Epoche glanz- und charakterloser
Computerausdrucke, der Umstand einer mit Schreibmaschine erfolgten Mitteilung
augenblicklich in einem kriminellen Kontext gesehen wird.
    So empfand es auch Lorenz. Und fühlte folglich schon vor der Lektüre
eine Angst aufkeimen.
    In der Tat handelte es sich

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