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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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weder um einen Liebesbrief noch um die
Nachricht einer Behörde. Und wenn es ein Witz war, dann ein schlechter. Denn
hier war zu lesen:
    Lassen Sie die Hände von
dem Laden. Und lassen Sie die Hände vor allem von Sera. Für den Fall, daß Sie
meinen, diese Warnung nicht ernst nehmen zu brauchen, sollte es kein Problem sein,
Ihnen eine kleine Lektion zu erteilen. Sie sind ja ein gutaussehender Kerl und
wissen doch gewiß, wie häßlich das aussieht, wenn man in eine Eisenstange
hineinläuft und einem nachher der Kiefer bis zur Brust hängt. Wollen Sie das
haben, schöner Mann? Sie wären schlecht beraten, es auf einen Versuch ankommen
zu lassen, selbst wenn Sie meinen, die Kieferchirurgie leiste heutzutage
Erstaunliches. Das wird sehr übertrieben. Alles kriegen diese Ärzte auch nicht
hin.
    Hoffentlich haben Sie
verstanden.
    Mehr stand nicht auf dem Papier. Aber es reichte ja.
Lorenz merkte, wie ihm die Hitze, die in der Regel nur seine Füße und Beine
betraf, nun bis zum Kopf schoß. Er stand jetzt ganz in Brand. Tropfen von
Schweiß traten aus seiner Haut. Es versteht sich, daß das nicht der Moment war,
wo eine Schale Espresso ihn retten würde. Also erhob er sich, ging ins
Badezimmer und hielt seinen Kopf unter die Wasserleitung. Das Wasser war viel
zu warm, trotzdem half es. Lorenz beruhigte sich, atmete wieder, ja er lachte
fast, wenigstens für einen Moment sich der Illusion hingebend, es eben doch nur
mit einem schlechten Scherz zu tun zu haben.
    Aber Hand aufs Herz. Wer würde ein solches Schreiben einfach zur
Seite schieben? Oder wer würde sich sagen: Sollen die nur kommen, damit ich
ihnen zeigen kann, wer da in wessen Eisenstange hineinläuft und nachher mit
einem Hängekiefer herumläuft?
    Würde man so denken? Vielleicht dann, wenn man etwas Derartiges in
einem Roman liest. Aber wohl kaum im wirklichen Leben. Jedenfalls verflog rasch
jene Belustigung, zu der Lorenz sich gezwungen hatte, um sich erst einmal aus
der inneren Feuersbrunst zu befreien.
    Er setzte sich wieder, fand wieder zurück zu seinem Espresso und
begann damit, sich zu überlegen, wer ihm diesen Brief geschickt haben könnte.
Zunächst einmal tippte er selbstredend auf Lou Bilten. Überhaupt wirkte eine
Botschaft, in der die Formulierung »schöner Mann« fiel, weiblich. Das galt auch – bei aller demonstrativen Brutalität – für das Bild eines bis zur Brust
hängenden Kiefers. Männer würden wohl eher damit drohen, den Kiefer in tausend
Stücke zu zerschlagen, und in der Folge erklären, daß ein auf diese Weise
behandelter Gesichtsknochen nur noch für ein Völkerkundemuseum taugte. Etwas
von dieser Güteklasse. Aber »hängend«?
    Andererseits war es eigentlich schwer vorzustellen, daß eine Person
wie Lou Bilten auf die Idee eines anonymen Schreibens verfiel, wenn sie doch
eine solche Drohung offen heraus ins Gesicht ihres Feindes schmettern konnte.
Und wenn schon ein Brief, dann hätte ihn Lou ganz sicher unterschrieben,
während dieses Schriftstück hier ganz ohne Signatur war.
    Wer also konnte diesen Versuch einer Einschüchterung verfaßt haben?
Ein Verehrer von Sera, von dem Lorenz noch nicht wußte? Ein Freund von Lou,
welcher dieser den Gefallen tat, einen Eindringling in die Flucht zu schlagen?
    Fragte sich allerdings, warum gleich im ersten Satz die Forderung
aufgestellt wurde, daß Lorenz die Hand von der Bäckerei Nix lassen
solle. Was hatten der Laden und Sera gemein? Oder war es nur als grundsätzlicher
Hinweis gemeint, in dieser Straße und dieser Gegend nicht willkommen zu sein?
    Viele Fragen taten sich auf. Fragen, die Lorenz bedrängten. Denn
schließlich waren es nur noch wenige Stunden hin, bis er im Büro des Maklers
erscheinen sollte, um den Mietvertrag zu unterschreiben. Eine Handlung, die
möglicherweise die Erfüllung des Versprechens nach sich zog, Lorenz mit einer
Eisenstange bekannt zu machen.
    Lorenz Mohn war trotz seines durchtrainierten Körpers
alles andere als ein Draufgänger. Er ließ sich nie in Streitigkeiten oder gar
Schlägereien ein. Wenn jemand ihn eine »schwule Sau« nannte, und das kam schon
mal vor, so gut, wie er eben aussah, dann ignorierte er dies in der Regel. Es
waren oft seine Begleiterinnen, welche die anpöbelnden Männer zur Räson
brachten. Denn dafür besaß Lorenz nun wirklich ein Händchen: immer mit Frauen

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