Gezähmt von sanfter Hand
Dann hörte sie eine tiefere Stimme, die die Pausen zwischen dem Gelächter ausfüllte.
Sie befanden sich in der alten Spielhalle des Herrenhauses. Die zahlreichen Kinder der Hausbediensteten benutzten sie als ihr Spielzimmer, in dem sie den größten Teil des Winters verbrachten. Doch heute hatten die Kinder, wie Catriona verwundert erkennen konnte, einen Besucher.
In dem großen Lehnsessel vor dem Kaminfeuer und umringt von lauter Kindern saß Richard. Die beiden jüngsten waren auf seinen Schoß geklettert und hatten sich rechts und links von ihm dicht an ihn gekuschelt; zwei thronten rittlings auf seinen Knien, und einige balancierten auf den breiten Armlehnen des Sessels. Einer hatte es sich auf der Rückenlehne bequem gemacht und lag fast auf Richards Schultern. Die restlichen Kinder hatten sich auf dem Boden um ihn geschart und hingen mit leuchtenden Augen an seinen Lippen.
Catriona verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich gegen den Türrahmen und hörte zu.
Sie lauschte den Geschichten über Jungen, die von zu Hause ausgerissen waren – und davon gab es eine ganze Menge. Sie hörte Geschichten über jugendliche Verwegenheit, tollkühne Taten und dreiste Späße; sie lauschte den Märchen, in denen Kämpfe mit gefährlichen Drachen ausgetragen wurden, und den echten Abenteuern, die das Schicksal ausgewählt hatte, um das Leben der jungen Helden zu formen.
Die Geschichten handelten zweifellos von Richard und seinen Cousins – obgleich er die Helden nie beim Namen nannte. Die Missetäter. Die Wölfe im Schafspelz.
Catriona fragte sich, wie viele dieser Geschichten wohl der Wahrheit entsprachen. Sie blickte Richard an, der so beeindruckend groß und kräftig war und dessen Stärke selbst jetzt, wo er vollkommen entspannt dasaß, überdeutlich hervortrat. Sie war davon überzeugt, dass alle seine Geschichten wahr waren. Sie erzählten von den Abenteuern, die aus ihm das gemacht hatten, was er war.
Eine Weile blieb Catriona reglos und unbemerkt im Halbdunkel vor der Tür stehen. Sie beobachtete, wie Richard das Schatzkästchen seiner Kindheitserinnerungen öffnete und eine Geschichte nach der anderen hervorholte – wie kostbare Halsketten –, um die Kinder in Erstaunen zu versetzen und sie dann wieder zum Lachen zu bringen.
Und sie waren verzaubert, waren voll und ganz von ihm eingenommen – gehörten ganz ihm, genau wie ihre Eltern. Das hatte Catriona schon vom ersten Tage an beobachtet – seine Fähigkeit, etwas von sich selbst zu geben und dadurch bei anderen Zuneigung, Ergebenheit, Loyalität hervorzurufen – seine Fähigkeit, andere zu führen. Catriona war sich nicht sicher, ob Richard sich dieser Fähigkeit, die ein Teil seines innersten Wesens war, bewusst war.
Während Catriona das Geschehen beobachtete, bemerkte sie plötzlich, wie eines der beiden Kleinsten, den Daumen im Mund und schon halb eingeschlafen, von Richards Schoß zu purzeln drohte. Ohne in seinen Erzählungen innezuhalten und ohne sich darüber bewusst zu sein, umfing Richard den kleinen Knirps mit einem Arm und hielt ihn schützend an sich gedrückt.
Catriona blieb noch eine Zeit lang im Korridor und konzentrierte ihre ganze Aufmerksamkeit auf Richard und die Kinderschar. Ihr Kopf und ihr Herz waren ganz von ihm erfüllt. Schließlich zog sie sich mit verschleierten Augen und ohne die kleine Gesellschaft zu stören zurück.
»Na endlich! Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finden würde.«
Catriona blickte auf, als Algaria den Destillationsraum betrat, und blinzelte überrascht, als sie feststellte, dass das Gesicht ihrer ehemaligen Mentorin fröhlich entspannt war. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Mit mir?« Algaria lächelte. »Mir geht es sehr gut. Aber eigentlich bin ich gekommen, um dir dieselbe Frage zu stellen.«
Catriona richtete sich auf. »Mir geht es auch sehr gut.«
Algaria musterte sie eingehend. Und als Catriona ihr Schweigen eisern beibehielt, ergriff Algaria wieder das Wort: »Ich wollte dich fragen, ob dein« – sie wies mit einer vagen Geste in Richtung des Haupthauses und Catriona verengte misstrauisch die Augen –, »ob dein so genannter Ehemann «, ergänzte sie in liebenswürdigem Ton, »es inzwischen geschafft hat, dich zu schwängern.«
Catriona senkte den Blick auf die Kräuter, die sie gerade zerkleinerte. »Das kann ich doch jetzt noch nicht wissen, oder?«
»Kannst du nicht?«
»Nicht mit Sicherheit, nein.«
Catriona wusste es zwar schon, aber die überwältigende
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