Gezeiten der Begierde - Jordan, N: Gezeiten der Begierde - To tame a dangerous lord/Courtship-Wars 5
wirkte recht harmlos. Sein charmantes Auftreten erinnerte sie sogar an ihren Bruder Gerard, und daher war Madeline beinahe ein bisschen froh, dass er ihnen nach Chiswick folgen würde. Hingegen nahm ihr dieses Wissen nicht das Unbehagen, das sie bei der Aussicht überkam, allein mit Haviland in dessen Kutsche
zu sein. Die Nähe würde sie zweifellos zu viel an seine Küsse denken lassen. Andererseits war er ein Freund ihres Vaters gewesen, also sollte sie ihm doch gewiss vertrauen können.
Madeline stieß einen ähnlich resignierten Seufzer aus wie zuvor Havilands Cousin. »Nein, Mylord, ich brauche keine Begleitung.«
Havilands träges, bezauberndes Lächeln raubte ihr den Atem. »Schön. Wir erwarten Sie hier und fahren gleich ab, wenn Sie angekleidet sind.«
Madeline achtete darauf, lautlos auszuatmen, nickte Haviland zu, machte einen kleinen Knicks vor seinem Verwandten und eilte zur Tür.
Das Letzte, was sie hörte, als sie den Salon verließ, war Mr Lunsford, der sich halb amüsiert beklagte: »Ich schätze, du kannst nicht umhin, stets den Ritter zu mimen, Rayne, aber musst du ausgerechnet ein Mädchen in Not retten, wenn ich dich viel dringlicher brauche?«
Havilands Antwort hatte den gleichen amüsierten Unterton. »Nein, ich kann nicht anders, und du solltest dankbar für diesen meinen Charakterfehler sein, profitierst du doch von ihm.«
»Oh, bin ich, bin ich …«
Auch Madeline war Lord Haviland dankbar, entschied sie, als sie rasch den Korridor entlang zu ihrem Zimmer lief. Trotzdem war ihr nicht wohl dabei, ihr Schicksal in die Hände eines Adligen von Havilands Statur zu geben: einem gefährlichen Lord, der überwältigend und fast unwiderstehlich auf sie wirkte.
Nachdem er sich nochmals bei Freddie für die Planänderung entschuldigt hatte, zog Rayne an dem Klingelband. Sogleich kam der Wirt herbeigeschlurft. Rayne bezahlte ihn und wies ihn an, Miss Ellis‘ Truhe nach Riverwood nahe Chiswick zu schicken sowie
seine eigene Kutsche anspannen zu lassen. Dann entlohnte er den Wirt großzügig, um auf die Weise zu verhindern, dass der Mann Gerüchte in die Welt setzte.
Was er von seinem Taugenichts von Cousin erfuhr, überraschte Haviland nicht: Freddie hatte sich leider Gottes auf eine stürmische Affäre mit einer französischen Witwe namens Solange Sauville eingelassen und wurde nun mit Liebesbriefen erpresst, die er ihr in seiner Gedankenlosigkeit geschrieben hatte.
»Sie will zweitausend Pfund, Teufel auch«, jammerte Freddie. »Wenn ich sie nicht bezahle, droht sie, zu meinem Vater zu gehen. Du musst mich retten, Rayne! Sonst wird mir nicht nur meine vierteljährliche Zuwendung gestrichen, sondern sie verbannen mich auch noch in die Wildnis von Yorkshire !«
Was keine leere Drohung war, wie Rayne annahm, denn er kannte Freddies äußerst pedantischen Vater. Sollte Lord Wainwright von den Eskapaden seines Sohnes mit der Französin erfahren, würde er ihn ohne einen Penny aus dem Haus werfen.
Deshalb hatte Freddie an Rayne geschrieben und ihn angefleht, ihm zu helfen, und Rayne wiederum war froh gewesen, sich von der Hausgesellschaft entfernen zu dürfen und so seiner Großmutter zu entkommen.
Seit ihren frühen gemeinsamen Schultagen in Eton beschützte Rayne seinen Cousin vor den Rüpeln und den gemeinen Grausamkeiten, die Jungen einander zufügten. Dasselbe galt später in Oxford und auch noch, als sie längst erwachsen waren – teils weil Rayne immer schon einen ausgeprägten Beschützerinstinkt besessen hatte, aber teils auch weil er die Verbindung zur Familie seiner verstorbenen Mutter halten wollte. Im Grunde war Freddie ein charmanter, gutmütiger Kerl, absolut loyal und oft unterhaltsam,
wenn auch nicht sonderlich helle. Zudem bildete sein strahlender Optimismus einen wunderbaren Kontrast zu der Dunkelheit und dem Tod, von denen Rayne in seinem Beruf viel zu viel gesehen hatte.
Allerdings hatte er kaum Zeit, Freddie zu versichern, dass er ihn vor dem Erpressungsversuch der Witwe bewahren würde, bevor Madeline Ellis wieder in der Tür erschien. Sie hatte wenig Zeit zum Ankleiden gebraucht – sicher weil sie ihn nicht unnötig warten lassen wollte.
Beim Anblick ihrer Kleidung jedoch runzelte er die Stirn. Sie trug einen schlichten braunen Umhang und einen schwarzen Hut, die ihren blassen Teint nicht unbedingt belebten, und in ihren mit Handschuhen verhüllten Händen hatte sie eine kleine Hutschachtel sowie den Übermantel, den er ihr geborgt hatte.
Unerklärlicherweise
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