Gezeiten der Liebe
Supermarkt hatte immer ein Lächeln – und einen Lutscher – für Aubrey parat. »Nachdem wir die Einkäufe weggepackt haben, fahren wir dann zu den Quinns.«
»Seth!« Milch rann der Kleinen aus dem Mund.
»Tja, Schätzchen, ich weiß nicht genau, ob er heute zu Hause sein wird. Vielleicht fährt er auch mit Ethan auf dem Boot raus, oder er besucht einen seiner Freunde.«
»Seth«, sagte Aubrey erneut, sehr bestimmt, und spitzte die Lippen zu einem eigensinnigen Schmollmund.
»Wir werden sehen.« Grace wischte die verspritzte Milch auf.
»Ethan?«
»Vielleicht.«
»Hündchen?«
»Foolish ist ganz bestimmt da.« Sie gab Aubrey einen Kuß auf den Kopf und gönnte sich dann den Luxus einer zweiten Tasse Kaffee.
Um Viertel nach acht hatte Grace sich mit einem Stapel alter Zeitungen und einer Sprühflasche bewaffnet, die ein Gemisch aus Essig und Ammoniak enthielt. Aubrey saß auf dem Rasen und spielte mit ihrer Tierstimmen-Kassette. Alle paar Sekunden muhte eine Kuh oder grunzte ein Schwein. Und Aubrey ahmte die Geräusche jedesmal getreulich nach.
Als die Kleine sich schließlich ihren Bauklötzen zuwandte, hatte Grace die Fenster an der Front und an der
Seite des Cottages von außen fertig geputzt und lag gut in der Zeit. Sie hätte später auch pünktlich gehen können, wenn Mrs. West nicht mit Eistee herausgekommen und zum Plaudern aufgelegt gewesen wäre.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, weil Sie heute gekommen sind, Grace.« Mrs. West, eine mehrfache und daher erfahrene Großmutter, hatte Aubrey ihren Tee in einer bunten Plastiktasse mit kleinen Enten darauf gebracht.
»Das tue ich doch gern, Mrs. West.«
»Ich kann einfach nicht mehr so wie früher, wegen der Arthritis. Und ich hab’s eben gern, wenn meine Fenster blitzblank sind.« Sie lächelte, wodurch sich die Runzeln in ihrem verwitterten Gesicht noch vertieften. »Und bei Ihnen sind sie immer blitzblank. Meine Enkelin Layla hat sich ja erboten, die Fenster für mich zu putzen. Aber offen gestanden, Grace, dieses Mädchen ist furchtbar schusselig. Binnen kurzem würde sie sich von irgend etwas ablenken lassen, sich im Gemüsegarten langlegen und selig einschlafen. Ich weiß wirklich nicht, was aus ihr noch werden soll!«
Grace lachte, während sie sich das nächste Fenster vornahm. »Sie ist doch erst fünfzehn. Da denkt sie eben nur an Jungs, Klamotten und Musik.«
»Sie sagen es.« Mrs. West nickte so heftig, daß ihr Doppelkinn wogte. »Na, ich in ihrem Alter konnte schon flinker eine Krabbe schälen als man gucken kann. Hab’ mir meinen Lebensunterhalt damit verdient, und ich hab’ nur an die Arbeit gedacht, bis sie getan war.« Sie zwinkerte Grace zu. »Danach kamen dann die Jungs dran.«
Sie lachte schallend, dann lächelte sie Aubrey zu. »Das ist vielleicht eine goldige Kleine, die Sie da haben, Gracie.«
»Das Licht meines Lebens.«
»Ein richtiger Schatz. Nehmen Sie dagegen den Kleinsten von meiner Carly, Luke. Der kann nicht zwei Minuten am Stück stillsitzen, rennt andauernd herum und heckt
nur Streiche aus. Erst letzte Woche hab’ ich ihn erwischt, wie er an den Vorhängen in meinem Wohnzimmer hochgeklettert ist – wie die Hauskatze.« Dennoch lachte sie bei der Erinnerung in sich hinein. »Ein richtiger Quälgeist, unser Luke.«
»Aubrey hat auch so ihre Höhepunkte.«
»Kann ich gar nicht glauben. Nicht bei diesem Engelsgesichtchen. Bald werden die Jungs vor Ihrer Tür Schlange stehen. Bildhübsch, die Kleine. Ich hab’ sie auch schon Händchen halten sehen.«
Grace schüttelte ihre Sprühflasche und schaute sich schnell um, ob ihr kleines Mädchen in einem unbewachten Moment nicht plötzlich erwachsen geworden war. »Aubrey?«
Mrs. West lachte erneut. »Sie ging mit dem Quinn-Jungen am Hafen spazieren – dem neuen.«
»Oh, mit Seth.« Die Erleichterung, die sie überkam, war so absurd, daß Grace die Sprühflasche abstellte und erst mal zu ihrem Glas griff, um sich zu stärken. »Aubrey schwärmt für ihn.«
»Ein gutaussehender Junge. Matt, mein Enkel, geht mit ihm zur Schule – er hat mir erzählt, wie es kam, daß Seth diesen Rüpel Robert vor ein paar Wochen verprügelt hat. Ich konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, daß das schon lange mal fällig war. Wie läuft’s denn drüben bei den Quinns?«
Diese Frage war eigentlich der Hauptgrund, warum sie herausgekommen war. Aber es war Mrs. Wests Credo, nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern sich auf Umwegen dem Gegenstand
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