Gezeiten der Liebe
konnte sie nur an sich denken und daran, was sich bei den Quinns verändern würde.
Ob Anna nach ihrer Rückkehr wirklich das Zepter über den Haushalt schwingen wollte? Würde sie ihren Job verlieren und ohne das Geld auskommen müssen, das sie bei den Quinns verdiente? Schlimmer noch, viel schlimmer – würde sie auf die Gelegenheit verzichten müssen, Ethan ein- oder zweimal die Woche zu sehen und ab und zu sogar mit ihm zu Abend zu essen?
Sie hatte sich inzwischen daran gewöhnt, war abhängig davon, ein wenn auch nebensächlicher Teil seines Lebens zu sein. Und wie armselig es auch klingen mochte – sie faltete gern seine Kleider und strich das Bettlaken für ihn glatt. Sie schmeichelte sich sogar mit der Vorstellung, daß er an sie dachte, wenn er irgendwo im Haus auf einen ihrer Notizzettel stieß. Oder aber wenn er abends in sein frisch bezogenes Bett schlüpfte.
Würde sie auch das noch verlieren – die Freude, die sie empfand, wenn er von der Arbeit auf seinem Kutter nach Hause kam und Aubrey durch die Luft schwang? Wie er
sie ansah und ihr verhalten zulächelte, wenn die Kleine einen Kuß forderte?
Sollte das alles nur noch eine Erinnerung sein, die sie in ihrem Herzen verschließen mußte?
Ihre Tage würden sich endlos in die Länge ziehen, wenn sie nicht einmal mehr diesen Augenblicken entgegenfiebern konnte. Und von ihren einsamen Nächten ganz zu schweigen.
Sie schloß fest die Augen und kämpfte gegen die aufsteigende Verzweiflung an. Erst als Aubrey am Saum ihrer Shorts zupfte, kam sie wieder zu sich.
»Mama. Miß Lucy?«
»Bald, Schätzchen.« Grace nahm ihre Kleine auf den Arm und drückte sie ganz fest – das brauchte sie jetzt dringend.
Es war fast ein Uhr, als Grace die Einkäufe verstaut und das Essen für Aubrey zubereitet hatte. Bisher lag sie nur eine halbe Stunde zurück und dachte sich, daß sie die verlorene Zeit ohne größere Probleme aufholen konnte. Dazu mußte sie sich nur ein wenig mehr beeilen und sich strikt auf die Arbeit konzentrieren. Keine Träumereien mehr, befahl sie sich, als sie Aubrey auf dem Kindersitz im Auto festschnallte. Keine sentimentalen Luftschlösser.
»Seth, Seth, Seth«, sang Aubrey und schaukelte dabei vor und zurück.
»Mal sehen, ob er da ist.« Grace stieg auf der Fahrerseite ein, steckte den Schlüssel ins Zündschloß und drehte ihn. Ein Keuchen, ein dumpfes Krachen – danach kam nichts mehr. »O nein, das läßt du schön bleiben! Das lasse ich nicht zu – dazu habe ich heute keine Zeit.« Erneut drehte sie den Schlüssel, trat fest aufs Gaspedal und seufzte erleichtert, als der Motor endlich ansprang. »So ist es schon besser«, murmelte sie, während sie rückwärts aus der kurzen Einfahrt setzte. »Es geht los, Aubrey.«
»Es geht los!«
Fünf Minuten später, auf halber Strecke zwischen ihrem Haus und dem der Quinns, begann der Motor der alten Limousine zu husten, die Karosserie zitterte, und dann quoll plötzlich Dampf aus der Motorhaube.
»Mist!«
»Mist!« wiederholte Aubrey vergnügt.
Grace preßte die Finger auf ihre Augen. Es lag am Kühler, da war sie sich ziemlich sicher. Vor vier Wochen war der Keilriemen der Übeltäter gewesen, und davor hatten die Bremsbeläge gestreikt. Resigniert fuhr sie rechts ran und stieg aus, um unter der Motorhaube nachzusehen.
Eine Dampfwolke schlug ihr entgegen, so daß sie hustend zurückwich. Entschlossen schluckte sie die Panik hinunter, die ihr in die Kehle stieg. Vielleicht war es ja kein größerer Schaden. Es konnte wieder nur an irgendeinem Riemen liegen. Und wenn nicht – sie seufzte tief –, würde sie sich entscheiden müssen, was vorzuziehen war: noch mehr Geld in diesen Schrotthaufen zu stecken, oder von ihren Ersparnissen das Geld für den Kauf eines anderen halben Schrotthaufens abzuzwacken.
So oder so konnte sie vorerst nichts tun.
Sie öffnete die hintere Tür und löste Aubreys Gurt. »Der Wagen ist wieder mal krank, Schatz.«
»Oooh.«
»Ja, deshalb müssen wir ihn hier stehenlassen.«
»Allein?«
Aubreys Sorgeum leblose Gegenstände zauberte ein Lä- cheln auf Grace’ Gesicht. »Nicht lange. Ich rufe den Autodoktor an, damit er kommt und sich um ihn kümmert.«
»Er macht ihn wieder gesund?«
»Hoffentlich. So, und jetzt müssen wir zu Fuß zu Seth gehen.«
»O ja!« Erfreut über die Abwechslung zockelte Aubrey los.
Nach fünfhundert Metern mußte Grace sie auf dem Arm tragen. Wenigstens war es ein schöner Tag, sagte sie sich. Und der
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