Gezeiten des Krieges
abspielte. Evan schaute sich im Raum um, als sich der Machtwechsel vollzog.
Colonel Feldspar schaute ihn nicht einmal an. Ebenso wenig wie Whit Gregori. Beide Männer gaben wortlos ihre Stimme ab. Evan bemerkte wohl, dass Feldspar und Hoi zu dem Maskirovka-Agenten hinüberschauten, aber wie sie zu ihrer Entscheidung fanden, spielte keine Rolle. David Parks saß an der Seite und schien tief in Gedanken versunken. Hahns Blicke wanderten zwischen Evan und Mai hin und her und er schüttelte ein wenig den Kopf, als wolle er seinen Freund warnen.
Also ließ ihn selbst Hahn im Stich.
Evan konnte nicht länger bleiben. Jetzt nicht mehr, nicht, nachdem er Mai Wa öffentlich herausgefordert hatte. Evan hatte seinem Lehrer alles geliefert, was dieser benötigte, um sich zum Herrn der Lage aufzu-schwingen, und alles nur, weil er geglaubt - weil er gehofft - hatte, endlich den Weg nach vorne gefunden zu haben. Stattdessen wurde ihm erneut die Tür ins Gesicht geschlagen. Er hatte das Ijori De Guäng und seine Führungsrolle in der Revolte aufgegeben. Jetzt hatte er offenbar auch noch seine so mühsam gepflegten Freundschaften verloren.
Er drehte sich zur Tür. Jenna trat ihm in den Weg, aber Evan schüttelte den Kopf. »Bleib. Vielleicht kannst du helfen, Leben zu retten.« Dann ging er an ihr vorbei.
»Evan.« Mai befahl ihm nicht zu bleiben. Es war nur eine Frage.
Evan blieb in der Tür stehen. Er drehte sich nicht um. Langsam öffnete er die Fäuste und ließ die Hände sinken. »Ich erinnere mich an meinen Eid, Shiao Mai. Und ich erwarte Ihre Befehle. Für meinen Rat haben Sie offensichtlich keinen Bedarf.«
Und damit nahm Evan Abschied von seinen Freunden, seinem Meister und seinen letzten Bindungen an alles, was Capella oder Republik hieß.
Für den Rest des Tages blieb Evan unerreichbar, indem er Inventur machte und vorgeschobene Posten kontrollierte. Er hatte sich selbst aus der strategischen Beratung verabschiedet, sein Pflichtgefühl ließ ihn jedoch trotzdem nicht zur Ruhe kommen. Er vergewisserte sich, dass der Kampfschütze tatsächlich nicht schneller repariert werden konnte, und drängte auf den Abschluss der Umrüstung eines zweiten BauMechs, um die leichten Panzereinheiten des
Konservatoriums zu unterstützen. Damit verfügten sie über drei umgebaute ArbeitsMechs. Sie waren langsam und schwerfällig, aber trotzdem gefährlich.
Jenna holte ihn schließlich vor seinem Studentenheim ein. Um genauer zu sein: Sie wartete dort auf ihn. Möglicherweise schon seit Stunden, weil sie wusste, dass dies der Ort war, an den er früher oder später zurückkehren würde. Es wurde spät, lange nach Sonnenuntergang, und die Laternen warfen gelbes Licht über den Platz.
»Willst du darüber reden?«
»Nein.«
»In Ordnung.« Aber sie folgte ihm weiter.
Sie wartete, bis sie im Gebäude waren und auf dem Weg nach oben, dann änderte sie ihre Meinung. »Oder nein. Das ist nicht gut, Evan.« Sie schüttelte den Kopf und ihre Zöpfe tanzten über die Schultern. »Du warst vielleicht der Erste, der die capellanische Sache auf Liao unterstützt hat. Du verdienst vielleicht mehr Respekt, wegen des Ijori De Guäng und wegen deiner Vergangenheit mit Shiao-zhang Mai.« Am ersten Treppenabsatz packte sie ihn und stieß ihn mit dem Rücken gegen die Wand, sodass er gezwungen war, sie anzusehen. »Aber du lässt deine Freunde nicht sitzen, Evan.«
Die Treppenhauswand lag kalt an Evans Hinterkopf. Er starrte über Jennas Kopf auf die kahle Glühbirne, die unter einem Schutzgitter in der Decke brannte. »Ich habe mehr Zeit damit verbracht, mir über euch vier Sorgen zu machen als über alle Gefah-ren, die es für mich gibt.« Offenbar war heute der Tag für Aussprachen.
Das überraschte sie. »Warum? Was haben wir je von dir verlangt?«
»Nichts. Aber das ist der erste Grundsatz der Rebellion: Vertraue niemandem. Das hat mich Mai gelehrt. Ich habe zugelassen, dass du mir etwas bedeutest. Und Hahn, David und Mark auch«, setzte er hastig hinzu.
»Warum hast du uns dann nicht rekrutiert? David hat praktisch jeden Tag darum gebettelt.«
Dafür gab es verschiedene Gründe. Ungewissheit. Fehlende Eignung. Aber Evan packte den Stier bei den Hörnern. »Weil ihr vier das Erste in meinem Leben wart, das normal war. Jeder betrachtete es als selbstverständlich, Freunde zu haben, aber ich konnte das nie. Das wollte ich nicht verlieren. Aus welchem Grund auch immer. Also habe ich versucht, auf der Grenzlinie zwischen meiner Welt und
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