Gezeiten des Krieges
Blick auf. »Sie können gerne nachsehen, meine Liebe, aber ich versichere Ihnen, unser Besucher ist nicht mehr hier.«
Offenbar vertraute sie seinem Instinkt, auch wenn die Spannung in den Schultern verriet, dass sie sich weiter auf Überraschungen gefasst machte. »Wenn Sie es sagen.«
Bannson hob die Schachtel auf. Sie war sehr leicht und nicht allzu groß. Etwa so groß wie eine kleine Zigarrenkiste, und auch ungefähr so schwer.
»Nach Ihnen.« Er nickte Jones zu.
Die Halle führte in einen langen Flur. Die rothaarige Söldnerin pirschte sich den Gang hinab zu einem breiten Durchgang. Die Erdgeschoss-Bibliothek. Bannson folgte ihr und dachte derweil über das Geschenk und den Zeitpunkt seines Auftauchens nach.
Dass Daoshen auch nur von seinem Besuch auf St. Andre wusste, beunruhigte ihn schon. Bannsons Reisepläne wurden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Dieser Planet mochte die Wiege von Bannson Universal gewesen sein, aber inzwischen erstreckte sich der Konzern über die Präfekturen IV und V. Er hatte sich wohlweislich entschieden, St. Andre zu besuchen, weil diese Welt für ihn mehr Zuflucht als Machtsitz war. Der Ort, an dem sein neues Leben begonnen hatte, und an den er in die Anonymität zurückkehrte.
Und sie lag weit, sehr weit entfernt von Terra.
Nicht, dass er sich allzu große Sorgen machte. Der Angriff auf Terra war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Das hätte Ezekiel Crow viel eher erkennen müssen. Er hatte es jedoch nicht erkannt, und Bannson hatte die Ablenkung durch Crows Verrat genutzt, um ein paar eigene Rechnungen zu begleichen.
Bei einem Senator der Republik, der einen vorzeitigen Ruhestand verdient hatte.
Bei einem Offizier, der eine Immunität gegen Bannsons Zahlungen entwickelt hatte, und im Chaos der Schlacht verschwand.
Die meisten anderen in seiner Position hätten die Republik einfach nur gewarnt und nachträglich Lob eingeheimst. Die meisten anderen dachten kurzfristi-ger als Jacob Bannson. Außerdem: Was hatte die Republik je für ihn getan, abgesehen davon, seinem Aufstieg Steine in den Weg zu legen? Also hatte er den Angriff geschehen lassen und hatte die Gelegenheit genutzt, seinen eigenen Geschäften nachzugehen. Ein gutes Tagewerk, auch wenn es ihn eines seiner kostbarsten versteckten Asse gekostet hatte. Ezekiel Crow. Den gestürzten Paladin.
Doch Bannson verwarf keine wertvollen Möglichkeiten unbedacht, und er hatte bereits Schritte eingeleitet, Crow zu bergen. Eine solche Karte konnte, ein zweites Mal ausgespielt, nahezu jeden Stich holen. Und je schwächer die Republik wurde, desto größer waren Bannsons Chancen, seine eigenen Pläne durchzusetzen.
Pläne, die als Nächstes Konzerninteressen in Präfektur III und politische Interessen hier zu Hause umfassten.
Pläne, bei denen er Daoshen Liaos Einmischung berücksichtigen musste.
Jones und Bannson gingen durch die prächtige Bibliothek mit Rollleitern und deckenhohen Regalen mit Büchern aus allen Systemen der Republik zu der Galerie, in der er die meisten seiner vor Ort erstandenen Kunstschätze aufbewahrte. Die Galerie ließ sich mit einer Ferritstahltür verriegeln, die nur mit Fahrzeugwaffen aufgebrochen werden konnte. Drinnen war es kalt, kühlschrankhafte 6°C, und schumm-rig beleuchtet. Punktstrahler hoben die kostbarsten Kunstwerke aus dem Dämmerlicht hervor. Außerdem enthielt der Raum ein kleines Regalbrett, auf dem drei Personen bequem Platz hatten. Auf dieses Brett stellte er die bunt verpackte Schachtel und packte sie vorsichtig aus.
Das Band war mit einer Schleife verschlossen, die sich sofort löste. Bannson steckte die Totenkopfnadel ein. Das goldene Papier ließ sich problemlos auffalten. Ein Versprechen von Reichtümern? Ein Ausdruck des persönlichen Interesses Daoshens? Die sich öffnenden Falten legten ein tiefrot lackiertes, reich gemasertes Holzkästchen frei, in dessen Deckel
- der im Licht leuchtete - sich Bannson und Jones verzerrt spiegelten.
»Was ist es?«, fragte die Söldnerin.
Bannson strich mit einem Finger an einer der Kanten entlang und staunte über die Vollendung. »Wonach sieht es aus?«
»Ist es eine Zigarrenkiste?«
Ihr Mangel an Fantasie ärgerte ihn, bis er sich daran erinnerte, dass er selbst einen ähnlichen Gedanken gehabt hatte. »Das bezweifle ich doch stark.« Nein, das hier war sehr viel mehr. Aufgeregt klappte er den winzigen goldenen Verschluss hoch und hob den Deckel.
Das Kästchen war leer.
»Leer?« Jones runzelte die Stirn.
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