Gezeiten des Krieges
Protest beide Hände zum Himmel zu strecken. Michaelson nickte widerwillig, als die Menge reagierte. Sie liebte Hahn, sie antwortete ihm. Aber mehr als das, er hatte tief in ihnen etwas entfacht, das sich in jedem Jubelschrei Ausdruck verschaffte. Offenbar wurde Sun-Tzu tatsächlich unsterblich.
Die Republik hielt ihn durch ihr Handeln hier selbst am Leben.
Mai Wa hatte geglaubt, gegen procapellanische Rhetorik immun zu sein. Sechs Monate als Gast der Maskirovka entlarvten solche leeren Worte. Taten. Aktivität. Das war fetzt nötig. Führungsqualitäten, wie sie Evan Kurst verkörperte, sein ehemaliger Schüler.
Aber dieser Hahn Soom Gui besaß eine Gabe. Mai ertappte sich dabei, wie er vom Schwung des Augenblicks mitgerissen wurde. Evan schaute einmal zu ihm hinüber und runzelte die Stirn. Es gefiel ihm sichtlich nicht, dass Mai hier war und Kontakt zu seinen Freunden hatte. Aber Hahn hatte sich mit Mai in Verbindung gesetzt, nicht umgekehrt. Und der alte Mann war bereit, alles zu nutzen, was Evan wieder in seinen Einflussbereich brachte.
»Wir haben die Konföderation nicht eingeladen, zurück nach Liao zu kommen«, erklärte Hahn jetzt. Er war ans Mikrofon zurückgekehrt. Die Campuspolizei hatte bereits einen Verstärker und ein Megafon beschlagnahmt, aber die Studenten verfügten über genug
Reserven, um die Kundgebung weiterzuführen. »Wir haben das Ijori De Guäng nicht geschaffen.« Mai Wa und Evan wechselten einen zweiten Blick. »Das hat die Republik getan. Sie hat es getan, indem sie unsere schlichten Forderungen nach Recht und Gerechtigkeit zu lange unbeachtet ließ. Die Forderung, unser Schicksal selbst zu bestimmen. Lao-tse sagt, wenn Herrscher so handeln, wie es ihren eigenen Interessen dient, dann - dann - rebelliert das Volk. Wir rebellieren nicht. Aber wir sind entschlossen!«
»Yong yuan, Liao Sun Zi!« Die Menge benötigte keine Ermunterung mehr, den Sprechchor anzustimmen. Sie feierte Hahn, der sich in ihrer Bewunderung sonnte und zwischen den Füßen des riesigen, reglosen Men Shen auf und ab stolzierte. Er winkte Mai Uhn Wa vor und bückte sich, um dem alten Mann auf den Sockel zu helfen, bevor er ihm das Mikro überreichte.
»Ich bin ein Verräter«, sagte Mai Wa. »Ich diene dem capellanischen Volk.«
Die Selbstanklage kam ihm flüssig über die Lippen. Unter der Aufsicht der Maskirovka hatte er sie lange genug eingeübt. Es war nicht schwer, Konföderation Capella durch capellanisches Volk zu ersetzen, und plötzlich glaubte die Menge, er verkünde seine Hingabe an sie und die Republik brandmarke ihn deshalb als Verräter.
Sie jubelte und brodelte wie ein Topf, der zu lange auf dem Herd gestanden hatte.
»Ich habe den größten Teil meines Lebens danach gestrebt, den wahren Bürgern Liaos eine Stimme zu geben. Ich war ein Krieger in eurem Namen, für eure Sache. Ich würde alles dafür geben, dass ihr euer Erbe feiern könnt, ohne euch darum sorgen zu müssen, ob jemand es bemerkt und eure Namen notiert hat. Ich möchte ein Licht über Liao aufgehen lassen, so hell, dass nur wahre Bürger wagen, zu ihm aufzuschauen. Das Licht Liaos!«
»Liäo De Guäng, Liäo De Guäng«, intonierte ein Teil der Menge und schloss damit die Verbindung zwischen dem Ijori De Guäng und der Chance auf ein freies Liao, die er beabsichtigt hatte.
»Ich war in der Nacht der Schreie nicht hier«, erklärte er und drang bis in die Herzen seiner Zuhörer vor. Am Rand der Menge regten sich wieder Prorepublikaner und schleuderten Beleidigungen und einzelne Steine. Das Einzige, was sie sich damit einhandelten, waren Schläge. »Ich versichere euch, für mich war es eine schwere Enttäuschung. Ich war nicht hier, als Truppen der Konföderation landeten, in der Hoffnung, wieder etwas Stabilität in eure Leben zu tragen. Es war mir nicht gegeben, unter euch zu sein, sosehr ich es mir gewünscht habe, als ihr in den Jahren harter, brutaler Kämpfe, die folgten, um Hilfe gefleht habt. Ich war nicht hier«, stellte er mit geduldigem Bedauern fest, und trotz der Verzerrung kam etwas von seiner Scham durch den Verstärker, »als Sun-Tzu Liao zu euch heimkehrte.«
Während er jede Beteiligung an diesen dunklen Ereignissen von sich wies, feierte er sie.
»Der Kanzler hörte euer Flehen, spürte euren Schmerz und er kam hierher, um euer Leiden zu beenden. Und hier wurde er erhöht.« In der ersten Reihe der Menge erstarrte Evan und blickte wie gebannt zu seinem alten Mentor auf. Irgendetwas ...
»Es ist nicht mir
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