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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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körperlich angegriffen fühlt. Und erniedrigt. Eigentlich war sie der Ansicht, dass sie sich gar nicht schlecht schlägt bei dieser berühmten Jongliernummer, dem Versuch, eine gute Mutter zu sein und gleichzeitig weiterzuarbeiten und sich dabei nicht zu abhängig von anderen zu machen. Ob alle so über sie denken? Shona, Judy, Cathbad, Phil? Nun sieh sich einer Ruth an, muss wieder Polizistin spielen. Dabei kann sie sich nicht mal um ihr eigenes Kind kümmern. Ständig parkt sie das arme Wurm bei der Tagesmutter. So jemand sollte doch gar keine Kinder bekommen.
    Und vielleicht stimmt das ja sogar. Hat sie nicht Shona gebeten, sich um Kate zu kümmern, als sie die Toten am Strand ausgegraben haben? Ungeachtet der Tatsache, dass Shona eindeutig überfordert war und Kate fast bis zum Erbrechen brüllen ließ. Und obwohl Shona nicht die leiseste Ahnung von Babys hat, musste Ruth Kate trotzdem noch einmal bei ihr lassen, weil sie von allen leichtfertigen Unternehmungen ausgerechnet auf einen Junggesellinnenabend wollte. Was ist sie bloß für eine Mutter, die sich in Weinbars und Clubs betrinkt und erst weit nach Mitternacht nach Hause kommt? Und sie hat Kate auch bei Clara gelassen, die sie kaum kannte, nur um sich bei Nelsons Ermittlungen herumzutreiben und etwas von dem abfallenden Ruhmesglanz aufzulecken. Offizielle Beraterin der Polizei – von wegen! Wem macht sie hier eigentlich was vor? Es war ihre Schuld, dass Clara allein mit Kate eingeschneit war, dass Judy auf der Fahrt über das verschneite Moor ihr Leben riskieren musste. Kein Wunder, dass Judy seither kein Wort mit ihr geredet hat. Und jetzt macht sie es schon wieder. Sie muss Tatjana zutiefst gekränkt haben. Und wozu? Damit sie losziehen und an einem alten Boot herumbuddeln kann, das wahrscheinlich sowieso nur ein Fischerboot und bei irgendeinem Unwetter auf Grund gelaufen ist.
    Als ihre Studenten kommen, befangen in der Tür stehen und mit ihren Unterlagen rascheln, hat Ruth beschlossen, gleich nach dem Seminar nach Hause zu fahren. Sie wird mit diesen unsinnigen Detektivspielchen aufhören. Was geht es sie an, ob das Bootswrack zu einem der Feuerschiffe gehört hat und Teil der Operation Luzifer war? Was geht es sie an, wer Archie Whitcliffe, Hugh Anselm und Dieter Eckhart ermordet hat? Ihre Aufgabe ist es, Mutter zu sein, wie Tatjana richtig gesagt hat. Und dieser Aufgabe wird sie sich jetzt widmen.
    Es wird nicht gerade eine ihrer besten Seminarsitzungen. Zum Glück machen die Studenten die meiste Arbeit selbst: Einer hält ein Referat, die anderen diskutieren darüber. Es sind alles Doktoranden aus China und den USA, und sie gehen betont höflich miteinander um. Ruth braucht weiter nichts zu tun, als das Gespräch in bestimmte Richtungen zu lenken und ein Missverständnis bezüglich des Neandertalers zu korrigieren. Dann verlassen sie alle ehrfürchtig ihr Büro, und die Chinesen verbeugen sich sogar.
    Ruths Handy klingelt. Nelson ist dran.
    «Hallo, Ruth. Ich fahre jetzt nach Sea’s End House. Es gibt noch ein paar Fragen zu klären. Was machst du?»
    «Ach, Craig, einer von den Feldarchäologen, hat mich eben angerufen, weil sie am Strand hinter Broughton ein Wrack gefunden haben. Sie vermuten, es könnte sich um eines der Feuerschiffe handeln. Du weißt schon, die Verteidigungslinie entlang der Küste.»
    «Kommst du es dir ansehen?»
    «Eventuell.»
    «Dann sehen wir uns ja vielleicht dort. Und, Ruth?»
    «Ja?»
    «Sei vorsichtig.»
    Ruth stellt ihr Handy aus, schaltet es aber gleich darauf wieder ein und ruft Sandra an. Sie wird sich das Boot nur kurz anschauen. Spätestens um sechs ist sie wieder zu Hause.

    Eigentlich hatte Nelson darum gebeten, mit Irene allein sprechen zu können, doch als er vor der Tür von Sea’s End House steht, erklärt ihm Stella, ihre Schwiegermutter sei krank und dürfe nicht gestört werden.
    «Was fehlt ihr denn?» Nelson erwidert Stellas Lächeln nicht.
    «Der Arzt vermutet, es könnte ein leichter Schlaganfall sein.»
    «Ach du Schande!» Nelson ist erstaunt. Ein Schlaganfall ist doch etwas Ernstes. Wieso rennen sie dann nicht alle durcheinander und rufen nach dem Krankenwagen?
    «In Mutters Alter muss man mit so etwas immer rechnen.» Stella geht in den Wohnraum voran. «Es würde nicht viel nützen, sie ins Krankenhaus zu bringen. Da ist es besser, wenn sie hierbleibt, friedlich im eigenen Bett.»
    Sie wirkt auf eine Weise resigniert, die Nelson als verstörend empfindet. Im eigenen Bett. Alle reden immer

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