Gezeitengrab (German Edition)
eines rosafarbenen Aliens. Ruth fühlte sich ohne Vorwarnung in die Welt von Doctor Who und den Daleks versetzt. Eliminieren! Eliminieren!
«Ein Laufstuhl!» Michelle lachte. «Du setzt sie rein, und sie kann damit herumlaufen. Also, jetzt natürlich noch nicht, aber in ein paar Monaten saust sie dann damit durch die Gegend.»
Die Vorstellung einer Kate auf Rädern stimmt Ruth alles andere als zuversichtlich. Immerhin wird sie, wie die Daleks, damit keine Treppen steigen können.
«Ach! Das ist ja wunderbar. Danke!»
«Wo ist denn Kate? Ich habe sie ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.»
In den ersten paar Monaten nach Kates Geburt hatte Michelle sich sehr um Ruth bemüht. Sie hatte den weiten Weg zum Salzmoor auf sich genommen, um Kate zu bewundern und Ruth gute Ratschläge zu geben. Sie hatte vorgeschlagen, sich in der Stadt zu treffen, angeboten, mit Ruth und Kate in den Park zu fahren, und wollte Kate sogar zum Babyschwimmen «in meinen Club» mitnehmen. Ruth war gerührt: Sie sehnte sich nach der Freundschaft einer Frau, vor allem einer, die das ganze Baby-Ding schon erfolgreich hinter sich gebracht hatte. Aber sosehr sie sich auch einzureden versuchte, dass Kate gar keinen Vater hatte und wie eine moderne Athene voll entwickelt Ruths Kopf entstiegen war, brachte sie es letztlich doch nicht fertig, mit Nelsons Frau glückliche Familie zu spielen. Und so hatte sie sich aus allen Einladungen herausgewunden, Arbeit und Müdigkeit vorgeschützt, und als Michelle schließlich nicht mehr anrief, war sie ebenso erleichtert wie enttäuscht.
Doch heute Abend war Michelle die Freundlichkeit in Person und voller Bewunderung für Kate.
«Ach, sie ist so entzückend! Darf ich sie mal halten?»
Ruth ist immer wieder erstaunt, wie mütterlich Michelle sein kann. Für eine so glamouröse Erscheinung macht sie sich erstaunlich wenig Gedanken über Babykotze an der Schulter und Babyfinger, die ihr ins Haar greifen. Sie hielt Kate mit geübtem Griff, stellte dabei nicht einmal ihr Glas ab und drückte die Nase an Kates Kopf.
«Nein, wie süß! Ich hatte ganz vergessen, wie gut sie riechen. Schau doch, Harry! Willst du sie auch mal halten?»
«Nein danke», sagte Nelson.
Als die Gäste dann in den Garten gingen, drehte Ruth sich noch einmal um und sah, wie Nelson Michelle in ihren schicken roten Mantel half. Michelle lächelte und lehnte sich leicht an ihn. Hinter den beiden steckten Dieter und Clara immer noch flüsternd die Köpfe zusammen. Liebe liegt in der Luft, dachte Ruth säuerlich. Das musste wohl an Cathbads selbstgebrautem Punsch liegen.
«Man nennt diese Zeremonie Dekate oder auch Namensleite», hatte Cathbad zuvor erklärt. «Wir stellen Kate damit den Göttern vor.»
«Und falls man an den ganzen Firlefanz nicht glaubt», warf Ruth ein, «ist es einfach nur eine Party.»
Jetzt allerdings, im Dunkeln, als die Flammen des Feuers immer höher schlagen, wirkt es doch sehr viel mehr wie eine Zeremonie als eine schlichte Party.
«Die Paten, also Shona und ich», sagt Cathbad bescheiden, «stellen sich zu beiden Seiten des Tisches auf. Ruth, du stehst mit Kate in der Mitte.»
Ruth gehorcht. Bis zu einem gewissen Grad ist sie ja bereit, sich auf Cathbad einzulassen, nimmt sich aber vor, beim kleinsten Anzeichen eines Menschenopfers sofort wieder im Haus zu verschwinden.
«Wie heißt das Kind mit vollem Namen?», fragt Cathbad mit seiner klangvollen, respektgebietenden Druidenstimme.
«Kate», antwortet Ruth. «Kate Scarlet.»
Sie sieht zu Nelson hinüber und stellt dann entsetzt fest, dass sie die Augen nicht mehr von ihm abwenden kann. Nur sie beide kennen die Bedeutung dieses Zweitnamens, auch wenn einige der anderen sie vielleicht erahnen – Judy beispielsweise, die merklich zusammenzuckt. Scarlet Henderson: So hieß das kleine Mädchen, dessen Entführung Ruth und Nelson erst zusammengebracht hat.
Eine geschlagene Minute lang sehen Ruth und Nelson sich über das Feuer hinweg an. Dann erhebt zu Ruths Erleichterung Cathbad erneut die Stimme.
«Mögen die Götter dieses Kind rein und vollkommen erhalten, und möge ihr auf ewig alles Böse fernbleiben.»
Cathbad taucht den Zeigefinger in das Olivenöl und berührt damit sanft Kates Stirn. Ruth lässt ihn nicht aus den Augen, um sicherzugehen, dass er keine ominösen Symbole auf die Stirn ihrer Tochter zeichnet – aber nein, es bleibt bei der Berührung. Dann taucht er den Finger in den Wein und benetzt damit Kates Lippen. Kate lächelt. Die Tochter
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