Gezeitengrab (German Edition)
versehentlich an den Knopf gekommen.»
«Oder», sagt Nelson, «jemand hat ihn angehalten.»
Auf der Rückfahrt ins Revier denkt Nelson angestrengt nach. Oberflächlich betrachtet kann man den Tod der beiden alten Männer durchaus natürlichen Ursachen zuschreiben. Aber inzwischen gibt es genügend Fragen, um einen Verdacht zu rechtfertigen. Wie konnte der Treppenlift auf halber Strecke anhalten? Was hat Archie mit dem Wort «Luzifer» gemeint, und worin bestand der Blutschwur, den die beiden Männer in jungen Jahren geleistet haben? Und noch etwas sitzt ihm im Hinterkopf. Irgendwie hat es mit Lehnstühlen, zusammengefalteten Fernsehzeitschriften und Ruth Galloway zu tun. Stirnrunzelnd nimmt er die Kurve an der Suppenfabrik Campbell’s auf nur zwei Rädern.
Wieder im Büro, lässt er sich von Leah schwarzen Kaffee bringen und füllt das Formular aus, um die Obduktion von Archie Whitcliffe zu beantragen. Sein Chef wird das ohne Frage mitkriegen, aber es wird Zeit, die Maschinerie in Gang zu setzen. Falls Whitcliffe ihn zur Rede stellt, wird er sagen: «So sind eben die Vorschriften.» Whitcliffe ist schließlich ein großer Fan von Vorschriften.
Während Nelson noch konzentriert die Kästchen ausfüllt, schaut Clough zur Tür herein.
«Sie wollten mich sprechen, Boss?» Nelson hat ihm eine SMS geschickt.
«Ja, setzen Sie sich doch kurz.»
Clough setzt sich. Sein Kiefer arbeitet: Anscheinend hat er hinten noch etwas Essbares zwischen den Zähnen.
«Es geht um Hugh Anselm.»
Clough schaut verständnislos.
«Den alten Mann, der tot auf seinem Treppenlift saß.»
«Ach so. Da waren Sie in Urlaub. Der arme Alte hat sich auf seinen Treppenlift gesetzt, hat einen Herzinfarkt gekriegt und wurde erst am nächsten Morgen gefunden. Ich habe doch einen Bericht geschrieben.» Er klingt ein bisschen defensiv.
«Der Treppenlift hat auf halber Strecke angehalten. Fanden Sie das nicht merkwürdig?»
«Der Hauswart meinte, es hätte irgendeine Störung gegeben. Oder der Alte wäre selbst versehentlich auf den falschen Knopf gekommen. Es gab keinen Hinweis auf verdächtige Umstände.» Jetzt klingt er eindeutig defensiv.
«Was ist mit Hugh Anselms Sachen passiert? Seinen persönlichen Gegenständen?»
«Keine Ahnung. Hat wohl die Verwandtschaft mitgenommen.» Clough wird langsam neugierig. «Worum geht’s hier eigentlich, Boss?»
«Wahrscheinlich um gar nichts.»
«Gibt es eine Verbindung zum alten Whitcliffe?»
Das ist das Dumme an Clough: Er ist längst nicht so blöd, wie er aussieht.
«Möglich. Sie waren beide in der Home Guard, und Hugh Anselm hat kurz vor seinem Tod noch einen Brief an einen deutschen Militärhistoriker geschrieben. Darin behauptet er, 1940 wäre etwas passiert, das ihn sein Leben lang verfolgt hat. Er spricht von einem ‹großen Unrecht›.»
«Und Sie glauben, das war der Mord an unseren sechs Jungs?» Auch das Team weiß inzwischen, dass die Toten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Deutsche waren. Nelson hat Clough schon von der «Nazi-Boygroup» reden hören.
«Ich weiß es nicht, und jetzt ist keiner mehr da, den wir fragen könnten.»
«Sehr verdächtig», meint Clough fröhlich.
«Allerdings.»
Clough ist schon an der Tür, als Nelson ihn noch einmal zurückruft. «Sagen Sie mal, Cloughie, was wissen Sie über Countdown ?»
« Countdown , Boss? Das ist so eine Quizshow. Kommt am frühen Abend, für die alten Leutchen. Hauptsächlich Buchstabenrätsel. Es gibt da auch ein Dictionary Corner und so was.»
«Also könnte das jemandem gefallen, der Kreuzworträtsel mag?»
«Bestimmt.»
Nelson hat den Gedanken inzwischen dingfest gemacht, der ihm durch den Hinterkopf spukte. Archies Zeitung, in der die Sendungen für den Tag markiert waren: Countdown, Coronation Street, Panorama und eine nachmittägliche Wiederholung des Films Went the Day Well? .
Als Clough gegangen ist, googelt Nelson Went the Day Well? .
«Dramatischer Klassiker», liest er, «der von einem fiktiven Überfall der Nazis auf ein verschlafenes englisches Dorf handelt.»
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14
«Wir haben uns versammelt, ein Kind zu segnen.
Ein neues Leben ist in unsere Welt gekommen.
Wir haben uns versammelt, dem Kind einen Namen zu geben.
Ein Name schenkt dem Benannten Macht,
und so machen wir heute diesem Kind ein Geschenk.
Wir heißen es willkommen in unseren Herzen, in unserem Leben
und segnen es mit dem Geschenk des eigenen Namens.»
Cathbad ist in Hochform. Er hat im Garten ein
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