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Gezinkt

Gezinkt

Titel: Gezinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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die besten Spieler, die man finden kann, Tag für Tag. Gewinnen und verlieren.
    »Wie lange spielst du schon?«
    »Seit ich zwölf bin.«
    »Was sagen deine Eltern dazu?«
    »Die sind tot«, erwiderte er regungslos. »Ich wohne bei meinem Onkel. Wenn er da ist. Meistens ist er nicht da.«
    »Tut mir leid.«
    Tony zuckte mit den Achseln.
    »Also, ich lass niemanden mitspielen, für den nicht jemand bürgt. Deshalb...«
    »Ich hab ein paar Mal mit Jimmy Logan gespielt. Sie kennen ihn, oder?«
    Logan wohnte oben in Michigan und war ein geachteter Spieler. Die Einsätze waren eher klein bei ihm, aber Keller hatte einige verdammt gute Partien gegen den Mann gespielt.
    »Geh dir eine Cola kaufen oder was«, sagte er. »Komm in zwanzig Minuten wieder.«
    »Hören Sie, Mann, ich will nicht...«
    »Kauf dir eine Cola«, herrschte er ihn an. »Und wenn du noch einmal ›Mann‹ zu mir sagst, brech ich dir die Finger.«
    »Aber...«
    »Geh«, murmelte er barsch.
    So wäre es also, Kinder zu haben, dachte Keller, dessen Existenz als professioneller Glücksspieler in den letzten dreißig Jahren keinen Raum für eine Familie gelassen hatte.
    »Ich bin da drüben.« Tony wies mit einem Kopfnicken zu der grünen Markise eines Starbucks auf der anderen Straßenseite.
    Keller holte sein Handy hervor und rief Logan an. Er musste aufpassen, wen er mitspielen ließ. Vor einigen Monaten waren es ein paar Reporter, die unbedingt die Welt verbessern wollten, leid gewesen, über korrupte Politiker und Firmenskandale in Ellridge zu schreiben, und sie hatten eine Serie über Glücksspiel gemacht. (»Die Schande der Stadt« lautete der Langweiler von Titel.) Die Polizei wurde daraufhin vom Bürgermeister unter Druck gesetzt, die größeren Spieltreffs dichtzumachen, und Keller musste vorsichtig sein. Jimmy Logan bestätigte jedoch, dass er den Jungen vor etwa einem Monat sorgfältig überprüft hatte. Er war mit richtig viel Geld ins Spiel gekommen und hatte an einem Tag übel verloren, jedoch den Mumm gehabt, am nächsten Tag wiederzukommen. Er holte seinen Verlust wieder herein und spielte weiter; am Ende war er als der große Gewinner nach Hause gegangen. Logan hatte auch herausgefunden, dass Tonys Eltern ihm bei ihrem Tod fast dreihunderttausend Dollar Bargeld hinterlassen hatten. Das Geld hatte auf einem Treuhandkonto gelegen, war aber am achtzehnten Geburtstag des Jungen vor einem Monat freigegeben worden.
    Diese Neuigkeit ließ Kellers Interesse wach werden.
    Nach dem Anruf beendete er sein Mahl. Tony verspätete sich um eine trotzige halbe Stunde, ehe er zurückkam. Langsam und arrogant schlenderte er in das Diner.
    »Okay«, sagte Keller. »Ich lasse dich heute Abend ein paar Stunden mitmachen. Aber du verschwindest, bevor es um die wirklich hohen Einsätze geht.«
    Ein höhnischer Blick. »Aber...«
    »Das ist die Abmachung. Nimm sie an, oder lass es bleiben.«
    »Also gut.«
    »Bring mindestens zehntausend mit... Und versuch, nicht alles in den ersten fünf Minuten zu verlieren, okay?«
     
    Den Augenblicken vor Beginn eines Spiels wohnt ein Zauber inne.
    Natürlich freuen sich alle darauf, die kräftigen und doch weichen kubanischen Zigarren anzuzünden, über die Steelers, die Pistons oder die Knicks zu debattieren und die Witze zu erzählen, die Männer nur erzählen können, wenn sie unter sich sind.
    Aber diese kleinen Freuden sind nichts gegen den einen, alles beherrschenden Gedanken: Werde ich heute Abend gewinnen?
    Vergessen Sie das Gerede über die Liebe zum Spiel, den Nervenkitzel als solchen... all das stimmt auch, sicher. Aber was die wahren Spieler tatsächlich von den Dilettanten unterscheidet, ist das verzehrende Verlangen, mit mehr Geld vom Tisch aufzustehen, als sie gehabt hatten, da sie sich setzten. Jeder Spieler, der etwas anderes behauptet, lügt.
    Keller spürte diesen Rausch nun, als er in dem beißend riechenden dunklen Hinterzimmer von Sal’s Tavern saß, umgeben von Kartons mit Servietten, Strohhalmen und Kaffee, einer alten Reklametafel für Pabst Blue Ribbon Bier, einer Tonne Leergut, das langsam schimmelte. Das Spiel heute Abend würde klein anfangen (Keller ging trotz der zehn Riesen, die jeder Spieler vorweisen musste, von geringen Einsätzen aus), später am Abend würde es jedoch zu hohen Einsätzen kommen, wenn zwei ernsthafte Spieler aus Chicago eintrafen. Dann würde sehr viel mehr Geld den Besitzer wechseln. Aber die elektrisierende Vorfreude, die er bei hohen Einsätzen fühlte, unterschied sich

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