Gezinkt
der Mappe aufblätterte. Er las eine Weile, schüttelte wieder den Kopf und warf die Papiere mit lautem Klatschen auf den Tisch der Verteidigung. Dann fuhr er zu Cabot herum und schrie: »Trifft es nicht zu, dass Sie seit mehreren Jahren eine Affäre mit Mary Henstroth haben?«
»Nein!«
»Trifft es nicht zu, dass Sie befürchteten, im Falle einer Scheidung von Ihrer Frau die Kontrolle über die Firma zu verlieren, die ihr und ihrem Vater zu einundfünfzig Prozent gehörte?«
»Das ist eine Lüge!«, rief Cabot.
»Trifft es nicht zu, dass Sie am 3. Juni dieses Jahres früher aus dem Büro aufbrachen, bei Mary Henstroth in Gilroy Halt machten, mit ihr schliefen und dann zu Ihnen nach Hause weiterfuhren, wo Sie mit einem Hammer in der Hand Ihrer Frau auflauerten? Mit diesem Hammer hier, Beweisstück A?«
»Nein, nein, nein!«
»Und dann haben Sie sie erschlagen. Sie sind zu Ihrem Wagen zurückgegangen und haben gewartet, bis Jerry Pilsett auftauchte, worum Sie ihn gebeten hatten. Und als er kam, nahmen Sie Ihre Brille ab und riefen auf Ihrem Handy die Polizei an, um ihn – einen unschuldigen Mann – als den Mörder anzuzeigen.«
»Nein, das stimmt nicht. Das ist lächerlich!«
»Einspruch!«
»Trifft es nicht zu«, schrie Lescroix, »dass Sie Patricia, Ihre Sie liebende Frau, kaltblütig töteten?«
»Nein!«
»Stattgegeben! Genug jetzt, Mr. Lescroix. Ich dulde kein solches Theater in meinem Gerichtssaal.«
Aber von einem Provinzrichter ließ sich der Anwalt nicht aufhalten. Er war nicht mehr zu bremsen, angefeuert vom Murmeln und den erstaunten Ausrufen der Zuschauer, schwang sich seine empörte Stimme in die hintersten Winkel des Gerichtssaals mit ihrem »Trifft es nicht zu? – Trifft es nicht zu?«
Sein Publikum auf der Geschworenenbank saß vornübergebeugt, als wollte es jeden Moment zu einer stehenden Ovation für den Dirigenten aufspringen, und Charles Cabots ängstlicher Blick, der allen stählernen Zorn verloren hatte, schweifte panisch durch den Gerichtssaal. Er war sprachlos, ohne Stimme, als hätte sich seine tote Frau hinter ihm materialisiert und ihre Arme um seinen Hals geschlossen, um das bisschen an Leben, das seinem schuldbeladenen Herzen geblieben war, aus ihm herauszuquetschen.
Drei Stunden für einen Freispruch in allen Punkten.
Kein Rekord, aber ganz gut, dachte Lescroix, als er am Abend in seinem Hotelzimmer saß. Er ärgerte sich, weil er den letzten der beiden täglichen Flüge aus Hamilton verpasst hatte, aber neben ihm stand ein Glas Whiskey, in seinem tragbaren CD-Spieler lief Musik, und seine Füße ruhten auf der Fensterbank, in italienischen Socken, die so glatt wie ein schwarzer Frauenstrumpf waren. Er vertrieb sich die Zeit, indem er seinen Sieg in Gedanken noch einmal durchspielte und überlegte, ob er einen Teil seines Honorars dafür verwenden sollte, seine Hängebacken richten zu lassen.
Es klopfte an der Tür.
Lescroix stand auf und ließ Jerry Pilsetts Onkel ins Zimmer. Der Anwalt hatte ihm bei ihrer ersten Begegnung nicht viel Beachtung geschenkt, und er erkannte jetzt, dass der Mann mit seinen flinken Augen und der maßgeschneiderten Kleidung kein Bauerntrampel war. Er musste mit einem der großen industriellen Farmbetriebe zu tun haben. Wahrscheinlich hatte er den Familienbesitz keineswegs verpfänden müssen, und Lescroix bedauerte, dass er nur fünfundsiebzigtausend Dollar für den Fall verlangt hatte. Er hätte glatte hunderttausend nehmen sollen. Nun gut.
Der ältere Pilsett nahm ein Glas Whiskey an und trank einen großen Schluck. »Nach der ganzen Aufregung heute kann ich den gebrauchen, oh ja.«
Er zog ein Kuvert aus der Tasche und legte es auf den Tisch. »Der Rest Ihres Honorars. Ich muss sagen, ich hätte nicht gedacht, dass Sie es schaffen. Nicht mal wegen Einbruchs wurde er belangt«, fügte er erstaunt an.
»Nun, das konnten sie ja wohl schlecht machen, oder? Entweder er war in allen Punkten schuldig oder in keinem.«
»Ja, da haben Sie wohl Recht.«
Lescroix wies mit einem Kopfnicken auf das Honorar. »Viele Leute hätten das nicht getan. Nicht einmal für Angehörige.«
»Ich glaube fest daran, dass die Familie zusammenhalten sollte. Und dass man für die Familie tun sollte, was getan werden muss.«
»Eine gute Einstellung«, bemerkte der Anwalt.
»Sie sagen das, als würden Sie weder an Einstellungen noch an Familie glauben.«
»Ich hatte noch keine Gelegenheit, an eins von beiden zu glauben oder nicht«, antwortete Lescroix.
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