Gezinkt
»Mein Leben ist meine Arbeit.«
»Leute aus dem Gefängnis holen.«
»Ich nenne es lieber, der Gerechtigkeit zu dienen.«
»Gerechtigkeit?«, schnaubte der Alte. »Wissen Sie, ich hab diesen Prozess von O.J. Simpson verfolgt. Und ich habe nach dem Urteilsspruch einen Kommentator sagen hören, dieser zeige nur, dass man, egal welcher Rasse man angehört, Gerechtigkeit kaufen kann. Darüber musste ich lachen. Wie meinte er das, Gerechtigkeit ? Freiheit kann man kaufen, wenn man Geld hat. Das hat nicht unbedingt etwas mit Gerechtigkeit zu tun.«
Lescroix klopfte auf das Kuvert. »Und was kaufen Sie ?« Pilsett lachte. »Seelenfrieden. Den kauf ich. Besser als Gerechtigkeit und Freiheit zusammen. So, und wie hat mein Neffe die ganze Tortur überstanden?«
»Er hat überlebt.«
»Er ist nicht zu Hause. Wohnt er hier?«
Lescroix schüttelte den Kopf. »Er war der Ansicht, dass er in nächster Zeit nicht allzu willkommen sein wird in Hamilton. Er ist im Skyview Motel an der Route 32 West. Ich glaube, er möchte Sie gern sehen. Ihnen persönlich danken.«
»Meine Frau und ich werden ihn anrufen und ihn zum Essen einladen.« Der Mann trank seinen Whiskey aus. »Nun, Mister, kein leichter Job, den Sie da machen. Ich beneide Sie nicht darum.« Er musterte den Anwalt mit diesen scharfen Augen. »Vor allem beneide ich Sie nicht um die schlaflosen Nächte. Mit Ihrem Gewissen.«
Lescroix runzelte bei dieser Bemerkung leicht die Stirn. Aber dann lächelte er. »Ich schlafe wie ein Baby. Solange ich zurückdenken kann.«
Sie schüttelten einander die Hände und gingen zur Tür. Jerrys Onkel trat in den Flur hinaus, blieb aber noch einmal stehen und drehte sich um. »Ach ja, an Ihrer Stelle würde ich mir die Nachrichten ansehen.« Dann fügte er geheimnisvoll an: »Sie werden ein paar Dinge hören, über die Sie vielleicht nachdenken sollten.«
Lescroix schloss die Tür und kehrte zu dem unbequemen Sessel und seinem großzügig bemessenen Whiskey zurück.
Dinge, über die ich nachdenken sollte?
Um achtzehn Uhr griff er zur Fernbedienung, schaltete den Fernseher an und suchte nach einem lokalen Nachrichtensender. Er sah eine hübsche junge Sprecherin, die ein Mikrofon in der Hand hielt.
»Es war heute Nachmittag, während die Staatsanwälte den freigelassenen Verdächtigen Jerry Pilsett wegen Charles Cabots Rolle beim Tod seiner Frau befragten, als Pilsett das schockierende Geständnis ablegte. Später wiederholte er die Aussage vor Reportern.«
O mein Gott. Nein. Das kann er doch nicht getan haben!
Lescroix beugte sich vor, der Mund blieb ihm offen.
Jerry erschien auf dem Bildschirm, er grinste schief und schnippte sich ans Ohrläppchen. »Klar hab ich sie umgebracht. Das hab ich meinem Anwalt von Anfang an gesagt. Aber keiner kann mir jetzt noch irgendwas. Sie dürfen mich nicht noch mal vor Gericht stellen, hat er gesagt. Is nach dem Gesetz verboten. Kann ich ja wohl nichts dafür, wenn sie beim ersten Mal nicht genug für’ne Verurteilung beisammen hatten.«
Lescroix bekam eine Gänsehaut.
Zurück zu der blonden Sprecherin. »Ebendieser Anwalt, Paul Lescroix aus New York, hatte zuvor beim Prozess für Aufsehen gesorgt, als er andeutete, der Geschäftsmann Charles Cabot aus Hamilton selbst habe seine Ehefrau getötet, weil er eine andere Frau liebte. Die Polizei hat jedoch festgestellt, dass es sich bei der Frau, mit der Cabot Lescroix zufolge angeblich ein Verhältnis hatte, um Schwester Mary Helen Henstroth handelt, eine fünfundsiebzigjährige Nonne, die ein Jugendzentrum in Gilroy führt. Cabot und seine Frau arbeiteten häufig ehrenamtlich in der Einrichtung mit und spendeten ihr Tausende von Dollar.
Die Polizei hat außerdem Lescroix’ andere Theorie zerstreut, wonach Cabot seine Frau getötet haben könnte, um die Kontrolle über die Firma zu übernehmen, deren Präsident er ist. Denn obwohl er nur eine Minderheit der Unternehmensanteile besaß, hat eine Durchsicht der Firmenunterlagen ergeben, dass Patricia Cabot und ihr Vater ihm freiwillig hundert Prozent der Stimmrechte abtraten, nachdem Cabot die fünfzigtausend Dollar zurückgezahlt hatte, die ihm sein Schwiegervater zur Gründung der Firma vor fünf Jahren geliehen hatte.
Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob sie Lescroix wegen Verleumdung und Missbrauch der Verfahrensregeln anklagen kann.«
Wütend schleuderte Lescroix die Fernbedienung durch das Zimmer. Sie zersprang in ein Dutzend Teile.
Das Telefon läutete.
»Mr. Lescroix, ich bin von
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